Edith Piaf


Alexander Kolerus

Leserbrief zu:

Oliver Jahraus: Edith Piafs Lied, nicht der Film La vie en rose lässt uns weinen

Originalbeitrag



Lieber Herr Jahraus, liebe Redaktion,

den Piaf-Text finde ich sehr interessant und anregend, die in den letzten Jahren aufgekommenen Musiker-Filmbiographien sind ein Muss für die Medienobservationen. Ich habe den Piaf-Film leider noch nicht gesehen, aber ich denke, dass man viele der angesprochenen Phänomene etwa auch an Walk the Line wiedererkennen kann und dass es sich um die spezifische Problematik einer sich neu herausbildenden Art filmischer Künstlerbiographie handelt, die zu Ikonen gewordene „Popstars“ (im weitesten Sinne) zum Gegenstand hat. Offenbar geht es dabei um den Konflikt zwischen ikonischer (und vor allem: aufgrund der geringen zeitlichen Distanz immer noch präsenter) „Übermacht“ und narrativem Modus.
Bei Walk the Line hatte ich auch das Gefühl, dass es gar nicht um eine Biographie geht (nicht gehen kann!), sondern eher um ein Denkmal. Dementsprechend nickte der Film unter dem Deckmantel der Biographie brav alle Zutaten der Ikone ab, dabei auftauchende störende biographische Realismen wurden hingegen mit recht plumpen Apologien abgefangen. Phänomene wie Johnny Cash und Edith Piaf sind in Nationalmythen eingebettet und daher ikonisch auch im Sinne von dogmatisch und unangreifbar. Mythisches kann man eben nicht „erzählen“ (siehe Gustav Schwab), sondern allenfalls ritualisieren, also als Setzung wiederholen und bestätigen, nicht aber in narrativer Ausfaltung hinterfragen. Zumindest nicht, ohne den Mythos zu beschädigen. Deswegen stoßen solche Filme auf so große Schwierigkeiten bei der narrativen Umsetzung ihres Sujets. Der biographische Modus schafft durch nüchterne Distanz eine Mittelbarkeit, die das, was dem Mythos seine Faszination verleiht, gerade negiert: eine unmittelbare charismatische Präsenz, die keiner weiteren Erläuterung bedarf und sich schon auch mal auf Gottesgnadentum oder spirituelle Erleuchtung beruft: vgl. Michael Jackson als „King of Pop“ oder Johnny Cash, der sich zu einer Art Priesterfigur stilisierte. Von Madonna hört man neuerdings, sie rezipiere die Kabbala auf hebräisch ! – freilich ohne jemals ein Wort hebräisch gelernt zu haben. Solche Leute brauchen keine Biographien, sondern Jünger (aka Fans). Und die Jünger wiederum brauchen auch keine Biographien ihrer Anbetungsobjekte, sondern eine Messe oder ein Ritual, das diese zelebriert.
Diesem mythischen Anspruch des Sujets kann sich kein beschreibender Zugriff auf das Phänomen entziehen. Schon gar nicht eine Biographie in Form eines kommerziellen Kinospielfilms, denn da muss sowohl der distanzierte biographisch-narrative Modus durchgehalten als auch die mythische Unmittelbarkeit evoziert werden, und das ist unmöglich. Eine Biographie will ja gerade auf Entzauberung hinaus, der Spielfilm hingegen auf „Bezauberung“. Der Regisseur steht sozusagen vor der Aufgabe, einen Mythos zugleich zu beschwören und zu neutralisieren – wie auch anschließend Oliver Jahraus über das Ergebnis einen Text schreibt, der sich als Rezension ausgibt, aber eine Hommage ist (wobei sich Oliver Jahraus im Unterschied zum Regisseur letztlich zu einer der beiden Optionen bekennt). Dieser Konflikt wird auf die Spitze getrieben, wenn es obendrein um Musik geht, die natürlich bedingungslos der mythischen Beschwörung zuarbeitet. Das treibt wiederum den biographischen Erzähler in die Enge, und so kommt es meines Erachtens zu den im Text angesprochenen Emanziaptionsversuchen des Films von der Musik. Zudem spiegeln diese Filme köstlich den Konflikt zwischen künstlerischer Integrität und kommerziellem Interesse. Mir scheint, dass sie einfach noch nicht ihre spezifische Sprache gefunden haben, und genau das macht sie so interessant, obwohl sie gar keine andere Möglichkeit haben, als zu scheitern (oder gibt es Beispiele, die einen anderen Schluss zulassen?). Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich das Genre in Zukunft entwickelt – das ist eine Medienobservation, die sich sicherlich lohnen wird! Ich hole gleich diese Woche noch den Piaf-Film nach, jetzt bin ich erst recht gespannt.

Viele Grüße Ihr/Euer Alexander Kolerus



Verfasser: olex@kolerus.de , veröffentlicht am 11.04.2007

 

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