Andrea Rückert, Sebastian Görnitz


Für Liebe und Gerechtigkeit - Die Kindergartenkultserie "Sailormoon"

Abstract: Jugendkultur hat viele Formen. Eine davon ist "Sailormoon", ein Renner unter vier bis sechsjährigen Mädchen. Eine Begegnung mit dieser Zeichentrickserie, kann Erwachsene allerdings vor einige Probleme stellen.

Stellen Sie sich folgende Szene vor: Sie möchten Ihre Tochter von einer Kindergarten-Freundin abholen. Die untere Tür wird Ihnen geöffnet, sie treten ein, und sehen die Wohnungstür offen. In der Wohnung ist es dunkel. Und von niemandem eine Spur. Plötzlich fährt Ihnen der Schein einer Taschenlampe in die Augen - gewiß, auf so etwas waren Sie vorbereitet -, dann jedoch schreit eines der beiden Mädchen, die hinter der Ecke hervorgesprungen sind: "Die Sailorkrieger stehen für Liebe und Gerechtigkeit. Ich bin Sailormoon, und im Namen des Mondes ... werde ich dich bestrafen!" Keine Ahnung, wie es Ihnen ginge, aber schätzungsweise wären Sie zumindest überrascht. Glücklicherweise gibt es da noch die Mutter der Freundin, und wenn diese erklärt, daß die beiden Mädchen "Sailormoon" spielen, weil das heute im Fernsehen kam, dann wäre sicherlich einiges klarer. Und beruhigt wären Sie obendrein, denn die Mutter würde - all Ihre pädagogischen Zweifel vorausahnend - sogleich hinterher geben, daß die Serie ganz gut sei, weil keine Gewalt drin vorkomme. - Vielleicht kommt Ihnen aber auch dabei etwas sonderbar vor und, neugierig (Entschuldigung: besorgt) wie Eltern nun mal sind, programmieren Sie den Videorecorder (werktags, 15:35, RTL 2) und schauen sich die Aufzeichnung zu fortgeschrittener Stunde - wenn das Ihre Tochter wüßte - an. Sind Sie eher ein Fan von Astrid Lindgren-Verfilmungen und konventionellen Erzählstrategien, dann seien Sie gewarnt: es erwartet Sie mehr als die japanische Version von He-Man für Mädchen.

Die Serie beginnt vereinfacht so:
Eine Frauenstimme säuselt ein Eingangslied, zu dem ein bis drei Mädchen mit wehenden Haaren und eine Katze mir einem Mond auf der Stirn vor einer Art wechselndem Wolken-Sternen-Himmel- und Tausend-und-eine-Nacht-, aber auch Eifelturm-, Zeppelin-, "Spanische Treppe"-Hintergrund, zu sehen sind. Sie tanzen, springen oder werden gedreht. Der Titel wird eingeblendet: "Sailormoon - das Mädchen mit den Zauberkräften". Immer wieder fliegen Blütenblätter aus sich drehenden Rosen, und manchmal ist die eine Hälfte des Hintergrundes wie der Schriftsatz einer Zeitung. Zur Melodie sind die Verse zu hören:
"Sag das Zauberwort und du hast die Macht, halt den Mondstein fest und spür' die Kraft, du kannst es tun, o Sailormoon!"
"Kämpfe für den Sieg über Dunkelheit, folge deinem Traum von Gerechtigkeit, du kannst es tun, o Sailormoon! ..."

Beim zweiten Vers wird dann auch "das Böse" gezeigt, in Gestalt eines Mannes mit Maske und einer Frau mit roten Haaren, langen Fingernägeln und spitzem Gesicht, einer Mischung aus Hexe und Model. Und daraufhin beginnen diese Mädchen zu (wie anders soll man es nennen?) marschieren, wobei sie entweder in Formation oder gleichzeitig aus jeweils einer anderen Perspektive zu sehen sind - höchst dramatisch, eine hat sogar geballte Fäuste - das hatte die Hexe auch. Unmittelbar nach dem Verstummen des Liedes beginnt eine Mädchenstimme zu sprechen, die sich beim letzten Satz zum Kreischen steigert. Pro Satz (und das Mädchen spricht ziemlich schnell) erfolgen Szenenschnitte, die genauso viel Sinn machen, wie die Satzfolge beim Lesen: "Minako sollte Mitglied im Volleyballclub sein. - Ich wußte gar nicht, daß du so einen netten Freund hast. - O nein, ein Dämon versucht das Herz eines begeisterten Sportlers zu stehlen. - Das werde ich nicht zulassen! Ich bin Sailormoon und im Namen des Mondes werde ich ihn bestrafen!"

Alles klar? Ein längerer, ruhiger Fokus signalisiert den Start der Handlung. Doch, was ist das? Statt des Tausend-und-eine-Nacht-usw.-Hintergrunds befindet man sich nun im Umfeld einer japanischen Schule. Zwei händchenhaltende Hände sind zu sehen, im Hintergrund ein Mädchen auf einer Schulbank. Die "Händchen" sprechen: Er: "Partnerlook?" - Sie: "Ja, ... ich habe da eine ideale Jacke dafür gesehen." -"Ich glaube nicht, daß wir in der gleichen Jacke sehr gut aussehen." - "Besonders du nicht!" - "Komm schon, es ist doch nur eine Jacke." - "Na gut, es ist zumindest eine Erinnerung an unsere gemeinsame Schulzeit." - "Wenn man erst anfängt Erinnerungsstücke zu sammeln, ist die Freundschaft bald zu Ende." Das sitzende Mädchen steht plötzlich wütend auf. Dann ertönt wieder Musik; ein rosa Herz mit goldenem Mond fährt auf hellgrünem Hintergrund zurück. Darunter steht: "Einfach nur glücklich sein".

Soweit die ersten zwei Minuten und zwanzig Sekunden, wie gesagt: stark gerafft. Eine derartige, fast avantgardistische Komplexitätsverdichtung hatten wir nicht erwartet. Und wir müssen zugeben, daß wir beim ersten Mal Sehen dieser Folge nahezu nichts kapiert haben - außer, daß das Böse - welch überraschung - am Ende besiegt wurde. Von wem, ist schon eine ganz andere Frage, die wir nur nach etlichen Wiederholungen und Zeitlupen, bei denen wir die Haarfarbe und -länge der Mädchen, ihre Kleidung, ihre Zahl und was nicht alles verglichen haben, beantworten können. Wir referieren kurz den Inhalt, d.h. das, was wir uns als Handlung zusammengereimt haben:

Die Hauptperson ist, wie zum Teil in den Szenen zu Beginn, ein blondes (!), zunächst ganz gewöhnliches, vielleicht 12-15jähriges japanisches Schulmädchen. Es sieht in etwa so aus wie Sailormoon (die kann ja durch den Vorspann identifiziert werden). Doch dieses Mädchen trägt den Namen Minako. Diese Minako scheint in ihrer Schule ausschließlich von (glücklichen) Pärchen umgeben zu sein, während sie selbst keinen Freund hat, aber auf "einen Märchenprinz" wartet. (Der sonderbare Gesprächsverlauf von den Händchenhaltern ist so zu erklären, daß Minako den vierten und möglicherweise auch den letzten Satz vor sich hin denkt, was wir stimmlich aber erst bei der x-ten Wiederholung gemerkt haben.) Sie beklagt sich über ihre Situation, und jedesmal wenn sie redet, besteht ihr ganzes Gesicht (ausgesprochen häßlich) nur aus Mund. Interessanterweise ist bei den Mädchen im Eingangslied so gut wie kein Mund zeichnerisch zu erkennen. (Zufall?) Dann landet eine sprechende Katze, Artemis, mit Sichelmond auf der Stirn vor Minako. Diese äußert ihre Besorgnis darüber, daß ihnen der Computer "keine genaue Auskunft über ihre Gegner" (aha, das referiert auf die programmatische Bekämpfung des Bösen) geben könne, obwohl sie alle verfügbaren Daten eingegeben habe: "Wir brauchen einfach noch mehr Informationen!" Minako meint, daß sie etwas anderes brauche, nämlich "die Liebe", und was das heißt, erfährt man sogleich: sie klagt über das Ausbleiben ihres Märchenprinzen. Daraufhin - o Wunder - landet ein Volleyball vor ihren Füßen, den ein sportlicher, gut aussehender großer Junge (dessen Gesichtszüge aber auch nicht gerade japanisch sind) zurückholen will. Die Identifikation dieses Jungen geschieht auf die Weise, daß "Minakos" Blick zuerst die Füße einfängt und dann langsam nach oben wandert. Sie erkennen sich, da sie früher im gleichen Volleyballclub waren. Er bedauert sehr, daß sie nicht mehr im Club ist, weil sie doch so erstklassig gespielt habe, und Minako ist augenscheinlich hin und weg von ihm.

- Schnitt - Ein Professor ist zu sehen, auf dessen Gesicht immer Schatten liegt, und das weiße leuchtende Augen und einen roten Mund aufweist. Auch eine "Gehilfin" (Hexe-Model) ist im Bild. Der Professor heckt einen neuen Plan aus. - Schnitt -

Am nächsten Morgen trifft Minako den Jungen, Sutomu mit Namen, auf dem Weg zur Schule wieder und führt ein triefendes Annäherungs-Mädchen-Jungen-Rolle-Gespräch. (z.B.: Er: "... Eigentlich mochte ich dich, als wir schon in der ersten Klasse waren. Du warst das Ass unseres Teams und ich nur Ersatzspieler" - Sie seufzt: "Oooh" - Er: "Ich hab mir gedacht, wenn ich auch mal ein Stammspieler bin, sag ich es dir." - Sie mit schamroten Wangen: "Du kannst alles so wunderschön ausdrücken! Das ... das wußte ich ja gar nicht.")

Die vollkommen überdrehte Minako trifft sich nun mit Freundinnen zum Lernen, die anscheinend irgendwie in den "Kampf gegen das Böse" eingeweiht sind, weil sie dort von sich als "Kämpferin für Liebe und Gerechtigkeit" spricht. An dieser Stelle geschieht etwas Sonderbares: eine Art Realitätsverdopplung: Minako (von der man immer noch nicht wissen kann, wer sie ist, aber denken muß, daß sie Sailormoon sein müßte) amüsiert sich über ein Komik Heft, das von einer gewissen "Sailor-V" (sprich: [vi:]) handelt. Minako kichert, daß wenn sie eine Komikfigur wäre, sie am liebsten so aussehen würde wie diese. Außerdem hat sie irgendwelche Werbeprodukte (Energy-Drinks) von Sailor-V.

Minako geht und spielt an einem Automaten Autorennen, das mit einem Crash endet. Da taucht hinter ihr ein älteres Mädchen (vielleicht so 17jährig) auf, die meint: "Na Minako, hast du die Kontrolle verloren?" Dieses ältere Mädchen ist eine erfolgreiche Rennfahrerin und wird von Minako angehimmelt. Sie fragt sie, ob sie nicht einen Freund habe und ob sie sich nicht auch manchmal danach sehne, ein normales Mädchen und "einfach glücklich" (ja. ja, das Thema der Folge!) zu sein. Hierauf erwidert das ältere Mädchen: "Es gibt Wichtigeres als glücklich zu sein." Minako fragt noch, was das sei, und bedeutungsschwanger bleibt diese Frage im Raum stehen. Das ältere Mädchen muß schnell weg (augenscheinlich von einer fremden Macht gerufen ) und antwortet nicht. Es trifft sich mit einem zweiten, und dieses sagt: "Das Meer beginnt wieder zu tosen!" Aufgrund der Musik und Gestik scheint es sich bei den beiden um (ungewollt, da ferngesteuerte) Böse zu handeln.

Minako geht zur Volleyballhalle um ihrem Schwarm beim Training zuzuschauen. Hier muß sie feststellen, daß er eine Freundin hat. In diesem Moment aber verwandelt sich ein Volleyball (das Hexe-Model hatte sich daran zu schaffen gemacht) in einen "bösen Dämon", der als Volleyballspielerin dargestellt ist (besonders schön: ihr Büstenhalter - oder ist es ihr Busen selbst? - besteht aus zwei halben Volleybällen) und nun den Jungen und seine Freundin mit gefährlichen Bällen durch die Halle jagt. Minako hält eine Art Amulett in Händen: "O nein, ein neuer Dämon ist in der Volleyballhalle - Macht der Venusnebel, macht auf". Nun ertönt Musik, ein Frauenchor säuselt: "Sailorvenus", von Minako sind Ballett- oder Bodenturnbewegungen zu sehen, das Mädchen muß nackt sein, was aber "körperarchitektonisch" nahezu außen vor bleibt. Dann hat sie ihre "Uniform" als Sailorvenus (und jetzt wissen wir, daß Minako nicht Sailormoon ist!) an und ein goldenes Weiblichkeitssymbol (dessen Kreuz allerdings schräg nach rechts verschoben ist) rahmt sie. Ihre Uniform besteht aus kurzem Rock, Oberteil mit Schleifen, an der Stirn eine Art Amulettkrone, rote Lackschuhe. Dann schreit sie den Dämon (mit sonderbaren Armbewegungen) an: "Aufhören! Ich stehe für Liebe und für die Gerechtigkeit, ich bin Sailorvenus und im Namen der Venus werde ich dich bestrafen!" Ihre Haarpracht stellt den tollsten Batman-Umhang in den Schatten. Herzen sind auch um sie und auf das Kommando: "Feuerherzen fliegt!", fliegen goldene Herzen vor lila Hintergrund gegen einen gefährlichen Volleyball der Dämonin und ... zerstören ihn. Die Dämonin aber läßt einen weiteren Trick aus der Tasche, sie fesselt Minako mit einem Zaubervolleyballnetz. Dann beginnt ihr böses Machwerk: Sie reformuliert den Topos vom gesunden Geist und Körper: ein gesunder Körper berge ein reines Herz, und das soll jetzt ihr gehören. Sie saugt das Herz (? - es ist nur eine Art leuchtendes, sternförmiges Etwas, wohl die Lebensenergie) mit schwarzen Zauberstrahlen aus Sutomus Körper, der aber trotzdem - wenn auch sichtlich gequält - weiter lebt. Seine Freundin ist jetzt plötzlich weg. Nun steht vor der Halle ein weiteres blondes Mädchen (eine von den Freundinnen von Minako) und schreit, während Minako versucht, sich aus dem Netz zu befreien: "Venus! Macht der Mondherzen, macht auf!" Daraufhin folgt eine vergleichbare Szene wie zuvor, die erneut in einem höchst dramatischen Augenblick, die Handlung aufschiebt: das Lied säuselt diesmal "Sailormoon", und die Bekleidungsnummer ist wesentlich ausführlicher. Jedes einzelne Kleidungsstück wird zu einer passenden Choreographie angezaubert. Rosa Herzen - man ahnt es schon - bilden den Hintergrund. Ihre Haare sind als Pferdeschwänze (ein sehr hilfreiches Erkennungsmerkmal) zusammengefaßt und drehen sich wie Rotorblätter. Danach schreit sie: "Die Sailorkrieger [sic!] stehen für Liebe und für die Gerechtigkeit! Ich bin Sailormoon und im Namen des Mondes werde ich dich bestrafen! Los Dämon, ich bin gekommen, um dir zu zeigen, wie man Volleyball spielt!" Die Dämonin lacht, packt Sutomus Lebensenergie in eine Art Ball und schlägt ihn auf. Minako/Sailorvenus (die mittlerweile durch Sailormoon wieder von der Fesselung durch das Netz befreit ist) warnt Sailormoon, daß der Ball nicht auf den Boden kommen dürfe, sonst würde "das Herz" kaputt gehen. Daraufhin bekommt Sailormoon Angst. Die Dämonin schlägt auf. Plötzlich sind noch drei weitere Mädchen in derselben "Verkleidung" da, sie fangen den Ball. Die Dämonin holt ihn sich aber noch einmal zurück und will ihn wieder aufschlagen. Minako/Sailorvenus nimmt den Kampf mit ihr auf und den Aufschlag an - sie spielte früher ja erfolgreich Volleyball. Sutomu erkennt sie an der Abwehr. Nachdem die "Sailorkrieger" den "Herzball" wieder in Händen halten, schreit eine von ihnen: "Sailormoon", worauf eine vor einen riesigen Mond verlegte "Tausend-und-eine-Nacht-Kulisse" zu sehen ist, die Musik wieder "Sailormoon" säuselt und eine Art Zepter in die Luft gehalten wird: "Macht der Liebe, flieg und sieg!" Sailormoon nimmt eine ihrer Cheerleader-Haltungen ein, aus dem Zepter fliegen Herzen. Die Dämonin befindet sich in einer Art atomaren Herzgewitterstrahlung und wird zerstört, was sie noch stöhnend mit "Verloren!" kommentiert. Hinter einem Vorhang in der Turnhalle sind zwei Mädchen, von denen eine die Rennfahrerin und die andere ihre Verbündete ist, zu sehen. Auch sie sind wie Sailorkriegerinnen verkleidet. Die zweite sagt (richtig liebevoll) zur Rennfahrerin: "Hier gibt's heute für uns nichts zu tun, Uranus."

Minako trifft am nächsten Tag Sutomu mit seiner Freundin wieder. Er bittet Minako, falls sie einmal Sailorvenus begegnen sollte, ihr doch seinen Dank für die Lebensrettung auszurichten. Minako hat es augenscheinlich verwunden, daß sie ihn nicht - und auch sonst niemanden - zum Freund hat. Als sie alleine ist, kommt Artemis, die "Informations-Katze", mit einem Strauß Rosen und fragt Minako, ob sie nicht mit ihr heute abend ausgehen wolle. Minako kichert und als weichgezeichnete Frees-Stellung endet die Folge.

Soweit der Inhalt. Nach dem ersten Mal dachten wir immer noch, daß Minako Sailormoon sei. Das lag z.B. daran, daß auch Sailermoon zuerst "Venus!" ruft, bevor sie sich verwandelt. Und daß Minako was mit Sailorvenus zu tun hat, wird ja irgendwie klar. Es ist aber natürlich so: Sailormoon ist nur eine der "Sailorkrieger", die anderen heißen Sailorvenus, Sailormars ... und vielleicht Uranus, wer weiß. Minako ist Sailorvenus. Diese Mädchen sind "ganz normale" Schulmädchen, die sich zum Kampf gegen Dämonen in Notsituationen in die sog. "Sailorkrieger" verwandeln. Die vier Satzfolgen zu Beginn der Serie, sind quasi eine Vorschau auf die Folge. - Daß wir dies alles nicht sofort begriffen haben, liegt natürlich auch daran, daß es nicht unbedingt einfach ist, in eine Serie "einzusteigen". Das ist freilich nicht der einzige Grund. Auch nach mehrmaligem Anschauen sind einige Ungereimtheiten nicht zu erklären (z.B. das plötzliche Auftauchen der anderen "Sailorkrieger" in der Turnhalle oder das Verschwinden der Freundin von Sutomu). Das dürfte aber die Kinder, die diese Serie anschauen, nicht stören: die "Verwandlungs-" und "Kampfszenen" sind vollkommen stereotyp gehalten, jeweils dieselbe Musik, ähnliche Bilder und der Ausgang dürfte natürlich auch immer derselbe sein: die "Macht der Liebe" zerstört den bösen Dämon bzw. in diesem Fall: die böse Dämonin. Mit reinen Verkleidungsszenen, Feuerherzenschmettern, Einleitungslied etc. werden in dieser Folge immerhin vier Minuten, und damit 18%, gefüllt. Vermutlich sieht dies in weiteren Folgen genauso aus (und spart Produktionskosten), wobei die vermutlich ebenso stereotypen Kampfszenen der jeweiligen Dämonen noch nicht mal dazugerechnet sind.

Was aber ist die Botschaft der Folge? Wir schlagen folgendes vor:
"Es gibt wichtigeres als glücklich zu sein." - Dies sagt die Rennfahrerin/Uranus. Die unbeantwortet verhallende Frage Minakos, was dies denn sei, erhält am Schluß eine Antwort. Allem Anschein nach durchaus nicht resigniert akzeptiert Minako, daß sie keinen Freund hat. Minako ist eigentlich ziemlich hübsch dargestellt: langes wehendes blondes Haar, große Augen, zierlich, nettes Gesicht. Aber zu Anfang der Folge sieht sie in einigen Szenen ausgesprochen häßlich aus: während sie über ihre Situation klagt, nimmt ihr Mund fast ihr ganzes Gesicht ein, ihre Pupillen formen sich (matyriumsadäquat) zu weißen Kreuzen, wenn sie sich den "Märchenprinzen" - in übertriebenen, eigentlich selbstkarikierenden Worten und Gesten - herbeiwünscht. Im Zusammenhang mit ihrer Rettungsaktion und den Worten der Rennfahrerin, daß Rennfahren sinngemäß ihre Bestimmung sei, wird vermittelt, daß eine Aufgabe bzw. eine Begabung wichtiger sei als persönliches Glück. Es sei notwendig, seine eigenen Wünsche und Vorstellungen zurückzustecken, um sich einer Aufgabe, die es verdiene, zu widmen. Und was - so können wir fragen - könnte ehrenwerter sein, als für "Liebe und Gerechtigkeit" zu kämpfen? - Aber wird das die Wirkung dieser Serie auf ihre Tochter sein?

Im Kindergarten kursiert das Gerücht, daß in dieser Serie - im Gegensatz zum Erzfeind aller aufgeklärten Eltern: "Tom und Jerry" - keine Gewalt vorkomme. Richtig ist daran, daß kein Blut fließt. Es werden auch keine konventionellen Waffen verwendet. Aber abgesehen davon: Der Hauptkonflikt wird ausschließlich durch die überlegene Kriegsführung (und die eigentlich unfaire Überzahl) der sog. Sailorkrieger beendet. Die Gewalt, die zu sehen ist, ist nur quasi nach außerhalb des Körpers verlagert oder bleibt so unbestimmt wie radioaktive Zerfallsprozesse. Sie richtet sich von Seiten der "Guten" auch nicht gegen Menschen, sondern nur gegen eine von "Bösen" erschaffene Dämonin. Wenn diese am Schluß - im atomaren Feuerherzenhagel zerfällt, so ist um sie in dieser Szene ein - natürlich rotes - Herz gezeichnet: Gewalt ist also da berechtigt, wo sie durch "Liebe" legitimiert werden kann. Gewalt kann eben vielfältig sein.

Die sog. Sailorkrieger sind Mädchen. Es ist bezeichnend, daß sie sich selbst nicht "Sailorkriegerinnen" nennen. Denn obwohl die Serie auf den ersten Blick ein "Powermädchenbild" zu vermitteln scheint, ist sie von sog. Emanzipation bzw. einer Infragestellung eines herkömmlichen Mädchenbildes weit entfernt. Sowohl als "normale" Schulmädchen, wie auch als "Sailorkrieger" werden die Mädchen durch "typisch weibliche" Utensilien und Verhaltensweisen gekennzeichnet. Sobald Minako dem Jungen begegnet, schwärmt sie für ihn, der Blick mit dem sie ihn anschaut, geht demütig von unten nach oben, sie bekommt rote Backen, seufzt bei seinem Geschwätz, sagt begeistert zu ihm: "Du kannst alles so schön ausdrücken!", kichert im Kreis ihrer Freundinnen nur herum. Die "Sailorkrieger" werden in Ballett-, Bodenturn-, z.T. auch in kabarettähnlichen Szenen (die sehr an das Amerika der 50er bis 70er erinnern) mit ihrer "Uniform" bekleidet, ihre Amulette und anderen Utensilien scheinen einem Prinzessinnenspiel oder aber einer Kiste mit unechtem Schmuck entnommen zu sein (was natürlich ein unglaubliches Identifikationspotential bietet), ihre Waffen sind "Herzen" und "Rosenblätter", ihre Macht: die "Liebe" ... Zudem sind die "Sailorkrieger" nicht gerade die schlausten. Sie tapsen ziemlich unbedarft in ungeschickte Situationen, aus denen sie dann nur das Auftreten von weiteren "Sailorkriegern" rettet. Diese Mädchen besitzen einzig und allein eine "Zauberkraft", durch die sie mit Herzen um sich hauen können.

Wie man es aber auch dreht und wendet: Eine echte Charakterstärke haben die "Sailorkrieger" und die kann man ihnen nicht absprechen. Sie sind fanatisch für das Gute, und sie können es sogar benennen .... Ja, Sailorkriegerinnen, marschiert weiter gegen das Böse - euch braucht diese Welt!

Epilog:
Bei uns wird heute die Welt wieder in Ordnung sein: die Videokassette ist schon im Recorder und der ist für die nächste Folge von "Pippi Langstrumpf" programmiert. - Wie wir allerdings mit den vielen "Sailormoons" bei unserem geplanten "Pippi Langstrumpf-Faschingsfest" nächstes Frühjahr umgehen sollen, ist uns noch ein Rätsel.



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