Miszellen


Daniel Krause

Der letzte Mohikaner?

Franz Schuh zum Sechzigsten.

 

Franz Schuh wird sechzig. Die Feuilletons jubilieren. Fast gewinnt man den Eindruck, der vormals Unbekannte sei zum allenthalben gehätschelten Lieblingskind deutscher und österreichischer Feuilletonisten aufgestiegen. Weshalb? Bei Wiener Rezensenten mag der Lokalpatriotismus eine Rolle spielen. (Eva Menasse gehört zu den glühendsten Bewunderern Schuhs.) Bei deutschen die Neigung, Wien zum kulturellen Sonderfall, zum ‚ganz Anderen’ Deutschlands hinaufzustilisieren. Da kommt einer vom Schlage Franz Schuhs ganz recht. Seine Beliebtheit allerdings ist damit nicht erklärt. Gewiss, da wäre die hohe Qualität seiner Prosa. Dass Schuh zu den fähigsten Publizisten deutscher Sprache gehört, wer wollte es bestreiten. Als Kolumnist der ZEIT hat er seit längerem Gelegenheit gehabt, mit Glossen, Miszellen und Essais zu exzellieren.

Nimmt man Schuhs Texte aber in näheren Augenschein, so wird man nichts Außergewöhnliches finden. Kein Zweifel: Dies ist ein Essayist von hohem Karat und ungewöhnlichem stilistischen Vermögen. Er hat viel zu sagen – und sagt es in wohlartikulierter, goutierbarer sprachlicher Form. Doch muss man Schuh zum „Universalgelehrten“ erheben, zum alles und alle überragenden Stilisten, zum‚einzigen seiner Art’? Das ist dann doch übertrieben. Schuh wird es ohne Zögern anerkennen, als Skeptiker und Freund der Zwischentöne. Sätze wie diese sind nicht für die Ewigkeit geschrieben: „Die Nachbarin wurde von allem freigesprochen, während der Hausverwalter im Laufe der Zeit ausgetauscht wurde.“ (Schuh 2000, 9) „Dies ist der Staatsjammer und der Jammer der Staatsbürgerlichkeit, daß gerade dort mit den Unterscheidungen aufgehört wird, wo sie besonders notwendig wären.“ (177) „Nach der Methode der Suchbilder zur Verbrecherbekämpfung kann computergesteuerte Animation den differenzierenden Prozeß des Alterns unter Berücksichtigung der Sichselbstgleichheit nachahmen.“ (233) Um es nochmals deutlich zu sagen: Franz Schuh schreibt gute Prosa, nicht selten gelingen ihm bestrickende Bonmots. Doch zur Erklärung (und Rechtfertigung) seiner ‚Erhebung unter die Götter’ taugen sie nicht. Was ist es nun, das ihn zum Liebling der Feuilletons macht? Wenn seine Texte keine Antwort geben, dann wird man auf die Leser schauen müssen. Franz Schuh befriedigt (durchaus unabsichtlich) eine der Sehnsüchte unserer Tage. Die Zuschreibungen vom ‚Universalgenie’ zum ‚Wiener Kaffeehausliteraten alten Schlages’ erklären sich daraus, dass solche ‚Typen’ allzu schmerzlich vermisst werden. Wer sich nicht selbst zum „Bohemien“ verklären mag – sei es aus Einsicht oder Schamgefühl – der verklärt einen anderen, in unserem Falle Schuh. (Vergessen wir nicht: Wer dem poeta laureatus den Kranz aufs Haupt setzt, der steht über ihm…) Nicht nur gibt es ein Sehnen nach ‚Typen’ von Altenbergs und Polgars Art. Nicht nur, dass Mangel herrscht und jeder Schreibende sich Hoffnung machen darf, zum ‚Götterliebling’ nominiert zu werden.

Wir können weiters konstatieren, dass Schuh – was immer wir von seinen Fähigkeiten halten – dem ‚Steckbrief’ eines ‚letzten Mohikaners’ der Kaffeehauskultur beinahe passgenau entspricht. Mögen seine Hervorbringungen nicht immer höchstem Anspruch genügen, zur Profilierung des Kaffeehausliteraten tragen sie allesamt bei: durch die Vielfalt der Formen (zwischen aphoristischer Verdichtung und gemächlich mäandernden Weltballumrundungen) und durch die Weite des Blicks. Wie kaum ein zweiter versteht es Franz Schuh, Metaphysik und Alltag, Gott und die Welt, Großes und ganz Kleines ineinander einzuschmelzen. Diese doppelte Aufmerksamkeit wird häufig als Wesensmerkmal des Österreichischen beansprucht (Stifter ist gemeint), als Merkmal essayistischen Denkens kann es jedenfalls durchgehen, seit dessen Anfängen bei Montaigne. Schuh bringt es in der Tat fertig, über alles und jeden zu schreiben, mit eindrücklicher Sachkenntnis, assoziationsreich und in persönlichem, wiedererkennbarem Ton: Zwischen Luhmann, Canetti und Hegel scheint ihm alles zu Gebote zu stehen, was jemals von Bedeutung war fürs ‚Leben des Geistes’. Eben darin scheint sein ‚Geheimnis’ zu liegen: Dass er es wagt, zu allem eine (wohlbegründete) eigene Meinung zu äußern. Er erweckt die alte Illusion zum Leben, ein Einzelner könne das Ganze der Wirklichkeit in sich aufnehmen – und dennoch „er selber“ bleiben, ein durchaus gemütlicher Zeitgenosse, der Herr vom Nachbartisch; den Traum, ein Mensch könne die Welt in sein Angesicht spiegeln – ohne entstellt zu erscheinen, ohne nach Fausts oder Adrian Leverkühns Art zum Monstrum zu geraten. Franz Schuh weiß am besten, dass es beim Traum bleibt. Er ist nicht in Haftung zu nehmen für den Überschwang seiner Bewunderer. Viel eher ist er zu rühmen: Wie wenige kommt er (stückweise gleichsam) dem Idealbild des Uomo universale nahe. Wie wenige hat Schuh sich ‚trotz allem’ Leichtigkeit bewahrt und ein bescheidenes, freundliches Wesen. Das ist Grund genug, ihm herzlich zu danken. Nicht dem Popanz der Feuilletonisten, sondern dem ‚wahren’ Franz Schuh.

Hinweis

Schreibkräfte – Über Literatur, Glück und Unglück (Köln 2000) vermittelt einen umfassenden Eindruck von Schuhs essayistischem Wirken. Hier findet sich unter anderem der große Luhmann-Essay, vielleicht seine eindrücklichste Leistung.


Verfasser: Daniel Krause, veröffentlicht am 11.04.2007

   
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