Miszellen


Daniel Krause

Vierzehnheiligen

Zwei Raumformen beherrschen Europas Sakralarchitektur: Lang- und Zentralbau. Die erste geht vom konstantinischen Petersdom aus. Meist nimmt sie die Form einer Basilika an: Das überhöhte Mittelschiff soll Transzendenz vermitteln: den Aufstieg vom Dunkel ins Licht. Die zweite ist heidnischen Ursprungs, das Pantheon ihr vollkommenster Ausdruck: Immanenz wird bejaht. Alle Rotunden, vom Pantheon bis in die Gegenwart, verdanken sich dieser Idee.

Das Barock sucht Lang- und Zentralbau zu verschmelzen. Der neue Petersdom scheitert daran. Noch schlimmer: St. Paul´s – Addition von Zentralräumen, keine Synthese. Nur Briten finden´s gelungen. Erst Guarini schafft die Voraussetzungen für ein Gelingen: Jetzt können die Gurte – sie grenzen Gewölbe ein – nach oben und in die Raumtiefe geschwungen werden: Rotunden dehnen sich, oval gestreckt. Eine führt über zur nächsten. Ihre Folge, unteilbar, entspricht einem Langbau. Das ist das „radikale Barock“ in Böhmen und Franken.

Balthasar Neumann wird zum Vollender guarinesker Architektur. Als Glockengießer und Ballistiker weiß er mit Kurven umzugehen wie vor ihm und nach ihm kein zweiter. Mit der Wallfahrskirche zu Vierzehnheiligen schafft er Architektur ohne Geraden: Zunächst soll ein konventioneller Langbau entstehen, doch widrige Umstände fordern Neumanns Genie heraus. Am Ende sind sieben lichte Rotunden zur Einheit verschmolzen. Man spricht vom „Tanzsaal Gottes“. Sieht man von der Abteikirche Neresheim ab, Neumanns letztem Projekt, ist dies die letzte originelle Raumschöpfung christlicher Architektur – als Einheit von Lang- und Zentralbau zugleich ihre Erfüllung.

Dass Vierzehnheiligen neben den Schinkelbauten das Hauptwerk der Baukunst in Deutschland ist, wird niemals bestritten. Bis heute gilt es als Urbild erdenfern leichter Architektur. Behnisch eifert ihm nach – und verliert sich in den Details. Gehry schafft konvulsivische Raumfolgen, „hyper-barock“ – und bleibt zu massiv. Nur Ieoh Ming Pei kommt Vierzehnheiligen nahe: Sein Anbau zum Berliner Deutschen Historischen Museum ist wie aus Atem gemacht. Nichts lastet. Alles fließt.


Verfasser: Daniel Krause, veröffentlicht am 15.05.2005

   
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