Comics / Schrift-Bild-Relation / Bilderwortschatz / Superhelden-Parodie


Marius Lechler

Die Rückkehr der Superhelden
Comics und ihre dynamische Verwendung von Schrift und Bild


In einer dunklen Seitenstraße schlägt die unheimliche Gestalt mit dem Fledermauskostüm einen gefährlich aussehenden Mann zu Boden.
Der Gangster ist chancenlos gegen den verkleideten Helden. Er hat zum letzten Mal die Straßen der Stadt unsicher gemacht. Sein siegreicher Gegner kann sich wieder in sein geheimes Versteck zurückziehen. Die Bürger der Metropole können wieder ruhig schlafen. Denn der Held mit der Maske - es handelt sich um Batman, den selbsternannten Beschützer der Schwachen - ist ja da, um über sie zu wachen ...

Es gibt wohl kaum ein anderes Medium, in dem die Beziehung zwischen Schrift und Bild und ihre dynamische Verknüpfung so offensichtlich nachzuweisen ist wie im Comic. Die Bewegung wird visualisiert durch Onomatopoesien, also Lautmalereien und "Bewegungslinien". Doch was Comic-Hefte so faszinierend und vor allem interessant für die Beschäftigung mit Schrift und Bild und deren "Beweglichkeit" macht, geht weit darüber hinaus.

"Comic" bezeichnet inzwischen nicht mehr nur die Abenteuer von Mickey Mouse und Donald Duck, die für viele Leser ein fester Bestandteil ihrer Kindheit und Jugend sind. Seit im Jahre 1896 das erste "comic book", "The Yellow Kid" erschien, hat das Medium Comic zahlreiche stilistische und künstlerische Veränderungen durchgemacht. Doch nicht nur der Stil änderte sich, auch die Themen der bunten Hefte decken inzwischen ein breites Spektrum beinahe aller Bereiche ab, denen sich auch Literatur und Film widmen. Von der Geschichte des Holocaust (Bedürftig, Friedemann/Kalenbach, Dieter: "Hitler - Die Machtergeifung" & "Hitler - Der Völkermörder", Carlsen 1989; Spiegelman, Art: "Maus", Rowohlt 1992) bis zum profanen Kochbuch (Uderzo, Albert/Crabos, Marie-Christine: "Kochspaß mit Asterix", Egmont Ehapa 1996) ist hier alles zu finden. Dennoch haben fast alle Comic-Publikationen eines gemeinsam: die Visualisierung von Bewegung steht bei ihnen an erster Stelle.


Dies gilt besonders für das Comic-Genre, das wie kein anderes die Verknüpfung von Schrift- und Bildelementen perfektioniert hat: die Superhelden-Comics.


Warum ausgerechnet Superhelden?

Die Hefte mit den Helden im Ganzkörper-Gymnastikanzug, die in fremden Welten oder lebensfeindlichen Großstadtmetropolen gegen geniale Gangster und schreckliche Superschurken kämpfen, entnehmen ihre pure Existenzberechtigung dem perfekten Zusammenspiel von Schrift und Bild und der daraus resultierenden "action": Der im "wahren Leben" blinde Superheld Daredevil entdeckt (Siehe Bildbeispiel) die Fähigkeiten seines Blindenstocks und benutzt ihn als Waffe im Kampf gegen das Verbrechen.
Die bekanntesten Verteter der Gattung "Superheld", nämlich "Superman" und "Batman", haben sogar über das Medium hinaus, das sie hervorgebracht hat, Einfluß auf zahlreiche Bereiche des täglichen Lebens.
So ist das , der Anfangsbuchstabe des bekanntesten Superhelden inzwischen selbst zum ikonografischen Zeichen geworden, das von Millionen von Menschen sofort identifiziert werden kann. Ein T-Shirt mit dem grafisch stilisierten "S" ist unverwechselbar. Ebenso gehören "Batman" und sein "Batsignal" mittlerweile zur Popkultur und zum allgemeinen "Bilderwortschatz".


Superman und Batman - Die Väter der Bewegung

Als die beiden Studenten Jerry Siegel und Joe Shuster 1938 den ersten Superhelden der Welt in "Action Comics #1" das Licht der Welt erblicken ließen, dachte wohl keiner der beiden daran, daß ihre Schöpfung, eine Mischung aus unbesiegbarem Wesen vom anderen Stern und der Personifizierung konservativer amerikanischer Moralvorstellungen, einen unverzichtbaren Einfluß auf die gesamte Entwicklung dieses Comic-Genres haben würde. Superman war seit seinem ersten Auftreten im Jahre 1938 ein von der Charakterzeichnung her sehr konventioneller Held, der den "Schurken der Woche" bekämpft, und nachdem er die Welt (einmal mehr) gerettet hat, wieder in seine geheime Identität als Reporter Clark Kent schlüpft.

Der Spielraum für außergewöhnliche Bildgestaltungen oder kreative Verwendung von Schrift-Bild-Kombinationen ist bei dieser Serie bis heute nicht besonders groß. Was man dem "Mann aus Stahl" jedoch hochanrechnen muß: er hat das berühmte in Umlauf gebracht - sei es auf dem T-Shirt eines Techno-Fans bei der Love Parade oder auf einem der zahlreichen Merchandising-Artikel.

Auch Batman, der dunkle Rächer, der bald nach Superman die Arena der Gerechtigkeitskämpfer in langen Unterhosen betrat, sorgte zu Beginn in seinen Abenteuern nicht für besonders erwähnenswerte Beispiele grafischer Gestaltung. Neue Autoren und Zeichner wie der "Batman-Spezialist" Frank Miller machten in den 80er Jahren aus dem Gerechtigkeits-kämpfer, dessen Ruf vor allem durch die alberne TV-Serie "Batman" aus den 60er Jahren gelitten hatte, einen dunklen und vor allem seelisch gebrochenen Charakter. In "Die Rückkehr des dunklen Ritters" (1986) definierte Miller den Mythos von Batman neu. Aus dem Rächer mit dem Cape wurde ein Mann mit starken psychischen Problemen, ein Superheld, der unter dem hinterhältigen Mord an seinen Eltern sein ganzes Leben lang zu leiden hat. Batman verbringt seine Nächte damit, gegen Verbrecher zu kämpfen, von denen er in Punkto Brutalität und Skrupellosigkeit oft selbst nicht mehr zu unterscheiden ist. In den "graphic novels", romanartigen Comic-Büchern fand Batman in den 90er Jahren seine Bestimmung. In ihnen wurde der künstlerischen Gestaltung der Figur und ihren Text-Bild-Bezügen bedeutender Raum zugestanden.

      


Selbstreferenz - Der Comic nimmt sich selbst aufs Korn

Ein wichtiges Gestaltungsmittel des Mediums Comic ist die Möglichkeit, selbstreferentiell zu arbeiten. Das heißt, das Medium Comic beschäftigt sich mit seinen eigenen Mechanismen und Konventionen und nutzt sie, um sich satirisch mit sich selbst auseinanderzusetzen. Diese Art von Comics gab es schon sehr früh in der Geschichte dieser Literaturform.

Ein Comic-Künstler, der bereits 1940 das Konzept der Selbstreferentialitüt verwirklichte, war Will Eisner. Er bezeichnete sich selbst als "visueller Geschichtenerzähler". Eisner nutzte seinen größten Erfolg, die Kriminal-Serie "The Spirit", in der ein maskierter Detektiv die Verbrecher jagt (übrigens einer der ersten Superhelden), um mit Hilfe von plastischen Schrift-Bild-Kombinationen die exotischen Abenteuer des Helden zu illustrieren. Im Bildbeispiel nutzt Eisner Schriftzüge (oft auch in anderen Titelbildern die Titelschrift) als aktives Element des Bildes, die auch dramaturgische Funktion haben. Der Schriftzug "Spirit" bildet das Dach mehrerer kleiner Gebäude auf einem orientalischen Bazar. In den Schatten der Buchstaben sind kleine Haustüren und Fenster eingelassen, die die Illusion von tatsächlich vorhandenen Gebäuden aufkommen lassen. Ebenso bemerkenswert ist der sogenannte "Writer´s Credit", die Autorennennung als Beschriftung auf einem kleinen Vordach. Eisner machte ein Markenzeichen aus dieser Art von Spiel mit den Konventionen des Comic-Genres und benutzte sie in der gesamten "The Spirit"-Serie.

Ein aktuelleres Beispiel für die Anwendung von Selbstreferentialität in Superhelden-Comics ist die amerikanische Superhelden-Parodie "Trencher". Hier werden in der laufenden Handlung Schrift-Bild-Elemente verwendet, um Comic-Konventionen zu demontieren. Zum Beispiel wird die laufende Handlung durch zahlreich auftauchende Hinweisschilder aufgehalten und in Sprechblasen werden die Lautmalereien des Comic veralbert. Hier steht der satirische Aspekt dieses Stilmittels im Vordergrund. Im Beispiel wird eine arbeitende Maschine durch die Sprechblase "Chudda, Chudda" charakterisiert, gleichzeitig aber durch eine zweite Sprechblase mit dem Inhalt "Ditto, Ditto" ins Lächerliche gezogen.


The Next Generation

Im Bereich der Superhelden-Comics wurde der deutsche Markt in den letzten Jahren geradezu überschwemmt von zahlreichen neuen Produktionen aus den USA. Besonders hervor tat sich dabei der kleine Independent-Verlag "Image" mit einer kaum übersehbaren Zahl von neuen Heftchen-Reihen: "Witchblade", "C.Y.B.E.R.Force", "Gen13", "Darkness", "WildC.A.T.S." sowie andere Reihen dieses Verlages haben auch in Deutschland eine große Fangemeinde um sich geschart. In der Serie "Gen13" z.B. geht es um eine Gruppe von vier Jugendlichen, bei denen aufgrund geheimer Regierungsexperimente verborgene, genetisch angelegte Kräfte freigesetzt werden. Diese Gruppe kämpft nun, nachdem sie dem Zugriff der geheimen Organisation entkommen ist, unter der Führung ihres Teamleiters John Lynch gegen die Organisation, die die Jugendlichen wieder in ihre Finger bekommen will. Die in den USA außerordentlich erfolgreich laufende Serie beinhaltet zahlreiche emotionale Konflikte, vor allem, weil vier gerade erst dem Teenageralter entwachsene Helden miteinander auskommen müssen, die oft mit sich selbst noch mehr Schwierigkeiten haben, als mit den Gegnern, gegen die sie antreten müssen (wie auch im ersten Bildbeispiel zu sehen ist). Das zweite Beispiel demonstriert die Verwendung von Lautworten im Bildausschnitt. Der Haupt-Bildbereich, in dem sich die Handlung abspielt, bleibt unberührt, der Vordergrund jedoch wird von einer Onomatopoesie, einem Lautwort, wie es in Comics häufig verwendet wird, durchbrochen. Die Gestaltung des Lauts als "ohrenbetäubend" und "durchdringend" wird so visualisiert. Die Reaktion läßt sich an den Gesichtern der Akteure ablesen.


Superhelden Sterben nicht

Die zahlreichen Aspekte des Mediums Comic, von denen hier einige vorgestellt wurden, füllen bereits dicke Bücher. Nicht nur Comic-Fans in aller Welt beschäftigen sich mit den bunten Heftchen, auch an Universitäten werden bereits Arbeiten zu diesem Thema geschrieben (Thomas Sieck: Der Zeitgeist der Superhelden. Das Gesellschaftsbild amerikanischer Superheldencomics von 1938 bis 1988. Diplomarbeit. Meitingen 1999; Jens Balzer: Das Wesen des Comics. Über Dialektik und Indifferenz in Bild-Text-Verhältnissen. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Universität Hamburg 1996).

Superhelden im allgemeinen mögen zwar mit ihren überkommenen Moralvorstellungen und ihrer Law-and-Order-Mentalität an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zu einer aussterbende Rasse gehören. Unzweifelhaft sind diese Comics aber Beweis dafür, wie das Zusammenspiel von Schrift und Bild Bewegung hervorbringt und in vielfältiger Weise die Leser dieser Literaturerzeugnisse auch heute noch anspricht. Superhelden sind die heroischen Vertreter eines Mediums, das auch heute nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. Man muß nur selbst Held genug sein, sich darauf einzulassen.



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