Elfriede Jelinek / Literaturnobelpreis / Gratulation


Stephanie Krawehl

Der Nobelpreis für Elfriede Jelinek –
nicht nur eine indirekte Genugtuung an Thomas Bernhard...

(Eine Ergänzung zu Oliver Jahraus’ Gratulation)


Der Nobelpreis für Elfriede Jelinek schafft Aufmerksamkeit nicht nur für die Autorin, sondern auch für die österreichische Literatur, zum Beispiel auch für Thomas Bernhard. Und dennoch werden dabei andere Autoren nach wie vor übersehen, deren Potenzial nicht weniger bemerkenswert ist als davon Jelinek und Bernhard, zum Beispiel Werner Schwab.


Der Nobelpreis für Elfriede Jelinek hat nicht nur für eine breite Diskussion, sondern auch für eine breitere Kenntnisnahme ihres Werks gesorgt. – Zumindest möchte man das annehmen, wenn man die Präsenz ihres Werkes in den Buchhandlungen, die plötzlichen Wortmeldungen seitens Laudatoren wie Skeptikern aller Couleur und den Veranstaltungsboom zu Ehren Jelineks in der letzten Zeit entsprechend würdigt. Rasch hat sich auch jenseits dieser öffentlichen Verlautbarungen mancher über „die“ Jelinek eine Meinung gebildet, zumeist eher über die Person als über das Werk. – Nicht, dass Elfriede Jelinek zuvor unbekannt gewesen wäre, im Gegenteil: sie war immer schon eine der bekanntesten, aber auch der am wenigsten gelesenen bzw. gespielten Autorinnen. Der Nobelpreis mag eventuell, zumindest was das Ausland betrifft, etwas daran ändern: Eine französische Verlegerin berichtet, dass sie ihre Jelinek-Lagerbestände innerhalb einer Woche nach der Bekanntgabe verkauft habe.
Mit dem wachsenden Interesse und der Bestätigung dort wird sie vielleicht auch endlich in ihrem Heimatland für ihre Literatur anerkannt und vor allem: gelesen werden. Denn eine „alte Geschichte“ unter Kritikern über Österreich und seine Autoren besagt, dass erst die (künstlerische) Anerkennung im Ausland diesen zu einer solchen im eigenen Land verhilft.

Schaut man sich daher die Liste mit den fremdsprachigen Ausgaben der Werke Jelineks auf ihrer Homepage an, so lässt sich erkennen, dass es für eine Bestätigung im Inland anscheinend immer noch zu früh war: Nur ein ausnehmend kleiner Teil ihrer Literatur, insbesondere ihrer Prosa, wurde bisher, genauer: in den letzten zehn Jahren, in eine zudem überschaubare Anzahl an Sprachen übersetzt. Einen Schub erhielt die Übersetzungstätigkeit wohl vor allem durch den „Skandal“-Bestseller „Lust“ sowie durch die Verfilmung der „Klavierspielerin“. Daneben wurde Jelineks Werk immer wieder im nahen Ausland, nämlich in Deutschland, ausgezeichnet, und auch ihre Dramen wurden hier mehr oder minder konstant gespielt. Darüber hinaus war Jelineks Literatur für die Forschung schon früh ein Thema.

Die Missachtung Jelineks im eigenen Land ging noch dazu mit einem Phänomen einher, das sich zwar keinesfalls nur in Österreich beobachten lässt, aber dort jedenfalls eine lange Tradition hat: die öffentliche Diskreditierung der Intellektuellen, die – und hier kommt auch Thomas Bernhard ins Spiel, nach dessen Tod diese Stelle zunächst unbesetzt geblieben sein mag –, die öffentliche Meinung polarisieren und – noch dazu – zu „Nestbeschmutzern“ gemacht werden, weil sie zuviel „bekritteln“, weil sie ihren Degout gegenüber dem herrschenden Geist zum Motor ihrer Kunst machen. Die Diskreditierung aber bleibt nicht etwa im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers, sondern dieses wird sogar hinter die private Person zurückgedrängt, womit letztendlich sogar alles Pop wird: das Werk wird durch das Image des Künstlers verbildet, ebenso wie das Image durch das (vermeintliche) Werk.

...sondern auch an Werner Schwab

Noch einer, der dieses Spiel (von außen betrachtet) glänzend beherrschte und nutzte, war der 1994 verstorbene Werner Schwab. Die Anerkennung seines Werks hielt sich zunächst ebenfalls in Grenzen – bis der Durchbruch 1991 mit der Inszenierung eines Dramas an den Münchner Kammerspielen kam und er über Nacht zum „Shooting star“ wurde. Noch im selben Jahr avancierte er zum meistgespielten lebenden deutschsprachigen Autor. Heute, elf Jahre nach seinem Tod, herrscht hingegen der Tenor, Schwab sei wohl doch nicht mehr als eine „Eintagsfliege“ gewesen. Zwar wurde nicht annähernd soviel über ihn publiziert wie über Elfriede Jelinek, auch ging das Interesse der Bühnen (vor allem im außerösterreichischen Bereich) rapide zurück, aber die Gründe hierfür mögen doch woanders als in der Qualität seiner Kunst liegen: ohne die Inszenierung seines Selbst, ohne seine Medienpräsenz, ohne also das Ankurbeln der Kultur- und Konsummaschinerie durch ihn selbst, verlor sich auch das Interesse an seiner Literatur.

Jelinek und Schwab

Gerade mit Schwab verbindet Jelinek auf dem Feld der Dramatik einiges: Wenn also das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung vor allem mit der Musikalität der Sprache und der Sprengung von Klischees in Elfriede Jelineks Werk begründet, so gilt dies erst recht und insbesondere für Schwab (wie daneben für Gert Jonke, Thomas Bernhard und andere auch).

Die Nobelpreisträgerin selbst würdigte Schwabs Arbeit 1994 in einem Interview mit der Zeitschrift Theater heute, indem sie den „entscheidenden Schub“ für das Theater in seiner „experimentellen Sprechweise“ begründet sah – nicht ohne verständliche Bitterkeit, weil „natürlich“ erst „ein junges Männergenie kommen“ musste, um „die Zeit reif für sprachlich innovatives Theater“ werden zu lassen.

In Impetus, Form und auch Inhalt dieses „innovativen Theaters“ nähern sich Schwab und Jelinek einander an: So unterwandern beide das Drama wie das Theater, beide destruieren herrschende Codes, und beide nutzen Mittel wie Wiederholung, Überzeichnung und Verfremdung, um das Scheinhafte aller Wirklichkeitskonstruktionen zu entlarven. Beide sind moralisch und also politisch und dabei immer polarisierend. Die Musikalität ihrer Sprachlandschaften, die dem Poetischen huldigt und das Besondere verschiedener Dukten aufnimmt, entfaltet eine ungeheure Zugkraft, die in Abgründe führt. Beider Dramatik ist eine Analyse von instrumentalisierter Sprache und Körperlichkeit immanent, die noch dazu im Sprechen selbst stattfindet. Und dabei gelingt es beiden, sowohl zu unterhalten als auch die Sinne zu schärfen, die Wahrnehmung zu verrücken.

Viele Rezipienten konnten dem dennoch nichts als Enttäuschung abgewinnen; dabei ist es aber tatsächlich weniger die genannte Literatur selbst, die für Frustration sorgen dürfte, als vielmehr die Enttäuschung der an diese Literatur herangetragenen eigenen Erwartungen.

Schwab und Jelinek sind extrem radikal mit ihren Figuren umgegangen, haben die Sprache zum Ereignis ihres Theaters gemacht und ihr alles andere untergeordnet. Und selbst, wenn auch ihrer Radikalität durch einen Bernhard, einen Jandl oder eine Bachmann, durch die Wiener Gruppe oder die Wiener Aktionisten der Weg geebnet war, haben sie diese Radikalität noch weitergetrieben.

Das „spezifisch Österreichische“

Neben alldem stellt sich auch wieder die Frage, was „das Österreichische“ dieser Kunstproduktion denn ausmache und auf welches Österreich-Bild sie sich konkret beziehe. Mir scheint, dass eine Besonderheit der österreichischen Literatur im Vergleich zu der im weiteren deutschsprachigen Raum mit der von Oliver Jahraus angesprochenen Zelebration des Weltuntergangs zusammenhängt: ein melancholischer Ton, der selbst beim Spiel, der Komik des sprachlichen Ausdrucks hörbar bleibt; ein kritisches Bewusstsein, das unbestechlich macht gegen jede Art von Selbsttäuschung, Beschönigung und arglosen Optimismus; ein Feingefühl in der Begegnung mit der Welt, das auch über ihre Beschädigungen nicht einfach hinwegsehen lässt und diese selbst im Kleinsten aufzuspüren vermag. Dadurch wird Kritik seitens der Intellektuellen immer weniger konstruktiv und immer stärker destruktiv bis zynisch vorgebracht. – Und gäbe es nicht jene faschistoiden Züge der Gesellschaft, so würden ihre kritischen Geister die Leser mit ihrer Wut, ihrer Trauer und ihrem Pessimismus verschonen.

Eine weitere Eigenheit dieser österreichischen Literatur liegt meiner Ansicht nach in dem ungeheuren Drang der Autoren zum Experiment mit Form und Sprache. Oft entsteht der Eindruck, als ob ein ganz anderes Verhältnis und ein ganz anderer Zugang zur Sprache wie auch zum Schreiben vorlägen und als ob ihr Umgang mit der Sprache die Instrumentalisierung in den verschiedensten Diskursen bewusst mache.

Die letzte Eigenart wichtiger, zeitgenössischer österreichischer Literatur, die ich anmerken möchte, geht schließlich aus dem Zweifel an der Sprache hervor, der letztlich zu selbigem am Bewusststein, am freien Ich, führt. Dieser Zweifel macht wiederum bewusst, dass der Idealismus eine deutsche Erfindung war und dass Österreich auch die Folgen von Hegel über Marx bis hin zu den 68ern nicht wirklich mitgetragen hat. Wie sehr die Legende vom freien Ich eine deutsche ist, lassen beispielsweise auch zahlreiche österreichische „Faust“-Adaptionen erkennen.

Schwab und Jelinek

Ohne die Wirkung des dramatischen Werks von Elfriede Jelinek schmälern zu wollen, erscheint es mir dennoch weniger radikal als das von Werner Schwab. Das liegt vor allem daran, dass Schwab ein privates, künstliches Idiom im System der Muttersprache kreiert hat (es erhielt das Label „Schwabisch“), das auf der Bühne ausgestellt wird, womit die Sprache zum eigentlichen Protagonisten erhoben wird.
Schwabs Dramen – in ihrer extremen Plastizität durchaus für das Theater bestimmt – eignen sich für die Bühne daher in anderer Weise als für die Lektüre: auf der Bühne können sie sowohl gewinnen als auch verlieren: sie gewinnen, abhängig von der Inszenierung, durch die Interpretation der Schauspieler, also durch die Performanz der sowieso immer schon theatralischen Zeichen. Sie verlieren, weil immer ein Rest des Textkörpers übrigbleiben muss, der sich nicht umsetzen lässt: Das beginnt bei der Regieanweisung für die Sprache und endet mit der Unspielbarkeit des einigen Stücken beigefügten zusätzlichen letzten Akts.
Schwab ist dem Theater gegenüber dabei ebenso rücksichtslos wie gegenüber dem Zuschauer/Leser. Der Untertitel zu seiner Shakespeare-Adaption verheißt zwar nicht (wie in "Endlich tot") explizit ein "Theaterzernichtungslustspiel", das Stück löst dieses Versprechen aber am konsequentesten ein: Die Kategorie des Spielerischen wird hier noch zusätzlich um die Dimension erweitert, in der es sich vom Spiel über das Spiel-im-Spiel zum Spiel des Spiels in der (binnenfiktionalen) „außertheatralischen“ Welt multipliziert, die schließlich das „totale Theater“ ist. Die Rahmenhandlung bereits hat die Aufführung von Shakespeares „Troilus“ zum Thema, in der Perspektive der sich beobachtenden (und von den Zuschauern beobachteten) Figuren. Die Figuren verlieren sich im Zuge ihres Spiels zunehmend in ihren (zudem verdoppelten) Rollen und wie sie wissen auch die Zuschauer am Ende nicht mehr, welcher Rahmen der „Wirklichkeit“ und welcher dem „Double“ zuzuordnen ist.

Die Steigerung der Radikalität Schwabs lässt sich im Verlauf seiner dramatischen Produktion gut verfolgen: Zuerst war es (immer neben der Sprache) vor allem die Form, mit der er spielte; die späteren Dramen hingegen wurden auch inhaltlich zunehmend dichter. Die Störung des sprachlichen Systems, die Zerstörung der herrschenden Codes und die Dezentrierung des Subjekts und mit ihm des (logischen) Denkens lässt nicht nur den Zusammenhang von deformierter Realitätssicht und Realität des Zuschauers/Lesers problematisch werden, sondern führt letzten Endes in die Autodestruktion: in die Vernichtung jedes im Stück verankerten Systems, bei der der Zuschauer/Leser im besten (also nicht-identifikatorischen) Fall nur zum Beobachten verdammt ist.

Jelinek zerstört und verstört nicht minder (und das schon seit längerem) als Schwab. Auch sie legt den ideologischen Gehalt von Bildern im Kopf, von Gemeinplätzen, die Gewalt geistiger Zurichtungen frei, auch ihre Texte drehen sich um Identität und um das entsubjektivierte Subjekt. Doch während auch bei ihr Bild- bzw. Zeichenoberfläche mit dem jeweiligen Inhalt zusammenfallen, bleiben die Kriterien zur Unterscheidung, bleibt die „Maskierung“ des Zeichens eher erkennbar – bei Schwab wird selbst das System der „Maskierung“ deformiert: Seine Sprache ist von Anfang an eine künstliche, die sich zwar aus realen Diskursformeln speist, aber eigentlich kommt es auf die Sprache selbst, ihre Dynamik und Wirkung an; die Sprache selbst ist das Ereignis. Schwab lässt mit dem vorgeführten Tod des Zeichens ebenso „Botschaft“, „Wahrheit“, „Bedeutung“ und auch Begriffe sowie Kategorien von „Realität“ ins Unendliche, nämlich den Kreis laufen. Durch die Geschlossenheit seines Systems bleibt zwar seine Haltung erkennbar, seiner Kritik und der Adressatenschaft aber kann der Rezipient nur entkommen, wenn er vor der Hermetik bzw. betonten Nicht-Authentizität kapituliert.

Nun lässt sich mit Elfriede Jelinek auch zugleich einwenden, dass die Möglichkeiten einer „eigenen“ Sprache für eine Autorin von Anfang an begrenzt bzw. gar nicht vorhanden sind (siehe „Lust“), dass es einem also auch nicht zusteht, dies als Vorwurf oder eben als Erwartung an weibliches Schreiben heranzutragen.

Trotz oder gerade wegen dieser Umstände ist Jelineks Empörung über die öffentliche Honorierung von Werner Schwab für seine Radikalität und die Skandalisierung ihrer Radikalität mehr als berechtigt. Nicht leugnen lässt sich, dass ein (wenn auch nur anscheinend) aus dem Nichts kommendes Talent, das zu einem „Genie“ stilisiert wird, wieder einmal männlichen Geschlechts ist. Nicht zu leugnen ist außerdem, dass Jelineks Gesellschaftskritik sich (auch) gegen den Mann und seinen Mythos (wie seine Mythen) richtet und dass damit Missverständnisse und Kritik vorprogrammiert sind.

Schwab dekonstruierte zwar auch das abendländische Denken als phallokratisch und logozentrisch, jedoch ist seine Kritik derart überspitzt und eben in jene künstliche Geschlossenheit verpackt, dass der satirische bzw. zynische Zug sich vielleicht nicht immer so konkret zuordnen lässt wie bei Jelinek. Seine Attribuierung von Mütterlichkeit beispielsweise aber besetzt diese aus ähnlich (nämlich männlich-) emanzipatorischen Gründen ebenso (eindimensional, da überzeichnet) negativ wie Jelineks „Die Klavierspielerin“ oder, um beim Drama zu bleiben, wie ihr Stück „Burgtheater“.

Elfriede Jelinek: kontinuierlich groß und niemals artig

Dass eine solche Sprach-, Gesellschafts- und Österreichkritik wie bei den Genannten schließlich immer von jenem melancholischen Ton getragen zu sein scheint, der sich aus einem zutiefst verletzten Gefühl der Menschlichkeit speist, wird oft übersehen, was zu Fehlinterpretationen führt. Ex negativo nämlich ist diese Kritik letztendlich doch auch eine konstruktive, da eine Welt gezeigt wird, wie sie nicht sein dürfte, der nurmehr mit Zynismus begegnet werden kann. Aus der Feder einer Frau aber klingt dies anscheinend immer noch unerhörter und gekränkter als aus der eines Mannes, sodass auch die Kränkungen ihrerseits weit unerhörter scheinen und darum oft, jenseits aller literarischen Qualitäten, ungehört versickern. Der „fremde“ Blick aber sollte nach anfängliche anfänglichem Befremden schließlich auch Beziehungen deutlich werden lassen, die für die Bewertung dieser Befindlichkeit als „fremd“ verantwortlich zeichnen; und damit kann der Preis in diesem Jahr sowohl als politische als auch als künstlerische Anerkennung verstanden werden, denn Elfriede Jelinek hat in beidem Großes bewirkt und war dabei niemals „artig“.


Verfasserin: Stephanie Krawehl, Kontakt zur Redaktion, veröffentlicht am 22.05.2005

   
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