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Edda Ziegler

Schöne Beine - Kluger Kopf.
Was Männer und Frauen mit Lesen und Schreiben zu tun haben


Abstract: Die gleichnamige Ausstellung (Adresse siehe unten) zeigt Klischees der lesenden Frau und provoziert die Frage nach der Lebenswirklichkeit von Frauen, die lesen oder nicht, die wissenschaftlich lesen und schreiben oder nicht und solcher, die weder lesen noch schreiben können.

 

Schöne Beine - Kluger Kopf - ein Titel, der für sich spricht, der nachdenklich stimmt und Fragen aufwirft. Sicher nicht die, wem wohl die schönen Beine zugehören. Folgt man den Bildern dieser Ausstellung und dem, was die Sammlerin, Fic van Dijk, in ihnen sieht, so gehören sie zweifellos zur lesenden Frau. Weniger klar ist, was es mit dem klugen Kopf auf sich hat. Fragen wir stellvertretend das Titelbild des Einladungsprospekts und -plakats.

Es zeigt eine dunkelhaarige Schöne auf steinerner Bank, lesend vor Meeresblick - dem Stil nach offensichtlich ein Bild aus den 20er oder 30er Jahren. Das Matrosenkleid - konventionelles Attribut aus Kaisers Zeiten - ist hier wohl als Freizeitoutfit zu verstehen: die Beine - in hochhackigen Schuhen - sind in der Tat Blickfang an zentraler Stelle. Viel mehr jedenfalls als der Kopf und das bescheidene kleine Buch, das die Leserin in den Händen hält und das in seinem sanften Seitenschwung eher der Natur, den Wellen zugehörig scheint, die im Hintergrund an den Klippen branden als Kulturtechniken und Bücherwelt. Die Leserin selbst ist in ihrer Haltung ganz Sehnsucht; Meeres-, Licht- und Wolkenstimmung wecken die tradierte gesellschaftliche Assoziation zum Topos von der anziehenden, aber ach so gefährlichen Triebkraft weiblicher Natur, und die - möchte man folgern - hängt mit dem Lesen offenbar eng zusammen.

Damit enthüllt dieses so konventionell anmutende Postkartenbild von der Schönen, die sich die Freizeit mit einem Roman vertreibt, einen Hintersinn, der so alt ist wie das Thema Frauen und Lesen selbst. Denn das Bild enthält Hinweise auf die Gefahr, die vom Lesen angeblich ausgeht, in der überkommenen Vorstellung von der Bestimmung der Frau als Tochter, Gattin, Mutter, zuständig für alle Aufgaben gesellschaftlicher Reproduktion. Lesen nämlich galt jahrhundertelang als den Frauen abträglich; als Unterhaltungsmedium, weil der Rückzug in die Traumfabrik sie von der Hausarbeit abzuhalten drohte; als Form der Wissensvermittlung, weil es dazu diente, ihnen verbotene Erkenntnis zu vermitteln über die Zusammenhänge der Welt. Als Lesewut, ja Lesesucht wurde Lesen zum alarmierenden Symptom für den bevorstehenden Umsturz etablierter, bequem gewordener Geschlechterverhältnisse.

Doch zurück zum klugen Kopf: Die Postkarte als kommerzielles Produkt zeigt uns konventionelle Bilder und Muster von Männer- und Frauenwelt. Männer demonstrieren zeitungslesend im Café, dicke Folianten wälzend in der Bibliothek, stets korrekt gekleidet ihren sozialen Status, ihre Klugheit und ihren Erfolg in der Welt. Frauen dagegen erscheinen durchweg festgelegt auf ihre private Lebenssphäre. Entweder sie posieren lasziv aufs Sofa hingestreckt, fast immer jung und schön, sehnsüchtigen Blicks vor den Briefen des fernen Geliebten, fungieren brav und züchtig als Vorleserin für die jüngeren Geschwister und befassen sich am heimischen Herd mit Stickanleitungen und Kochbüchern; oder aber sie dienen ihrem Herrn und Meister noch im fahrenden Kabriolet an der Schreibmaschine. Zentraler bezugspunkt des hier dargestellten Frauenlebens ist jedenfalls immer der Mann.

Als Lernende, Studierende, Forschende in eigener Sache dagegen sind Frauen in den Bildern dieser Ausstellung nie zu sehen. Das korrespondiert mit den Ergebnissen der empirischen Leserforschung, die - gültig zumindest bis in die 1970er Jahre - festgestellt hat, daß Männer sich vor allem für das Fach- und Sachbuch und wenn schon für Fiction, dann nur für den harten Krimi interessieren, Frauen dagegen primär für jene literarische Gattung 'Traumfabrik', die Männer in der Regel ganz links liegen lassen. Auch Märchen, Kinderbücher, Ratgeber und klassische Literatur (was immer darunter verstanden sein mag) finden ihre Leserschaft primär unter Frauen und erst in zweiter Linie unter Männern.

Dieses Ergebnis überrascht nicht. Es wird bis heute vom überwiegend weiblichen Publikum jeder literarischen Lesung aufs neue bestätigt. Und als Romanleserin, als großzügige Buchkäuferin und -schenkerin haben die Marketingstrategen der Verlage die Frau mittlerweile auch entdeckt. Und so blickt uns von den ästhetisch gestalteten Werbemitteln belletristischer Verlage nach wie vor zweimal jährlich stets derselbe verführerische Frauentyp entgegen: für die Frühjahrsproduktion auf sanft schwingenden Hängematten in verführerischen Gärten, für die Herbstproduktion im innenarchitektonisch durch und durch gestylten Ambiente - stets ein aufgeschlagenes Buch in der sinkenden Hand. Oder aber wir sehen uns konfrontiert mit dem Bild einer sexy Hausfrau mit dauergewelltem Blondhaar unter der aufrüttelnden Sprechblasen-Frage: "Macht lesen schön?"

Der jahrhundertealte Verdacht (auch, wenn er in dem hier zitierten Fall sicher ironisch gemeint war), daß Lesen - als Synonym für geistige Tätigkeit - der weiblichen Attraktivität schade und deshalb zur lebenslangen Blaustrümpfigkeit verdamme - er ist es unter anderem, der verhindert, daß Frauen nicht nur im Postkartenbild sondern auch in der Wirklichkeit - als Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen - noch immer wenig in Erscheinung treten.

Und damit bin ich endlich bei meiner eigentlichen Aufgabe, der Botschaft der Frauenbeauftragten. Nach wie vor alarmierende Zahlen gilt es in diesem Zusammenhang ein weiteres Mal zu nennen: Mehr als die Hälfte der Studierenden an deutschen Hochschulen sind heutzutage Frauen; mehr als die Hälfte der Absolventen stellen sie auch bei den Promotionen in den Lieblingsfächern der Frauen, den Geistewissenschaften. Eine Qualifikationsstufe höher, bei den Assistenten und wisseschaftlichen Mitarbeitern dagegen machen die Frauen nur mehr rund 30 % aus und unter den Professoren nur noch knapp 4 %. Damit ist Deutschland, nach neuesten Untersuchungen der EU, das Schlußlicht in ganz Europa. Zukunftsaussichten: Entgegen den positiven aber falschen Zahlen, die Minister Rüttgers verbreitet, eher bescheiden. Stieftöchter der Alma mater also noch immer, trotz erwiesenermaßen kluger Köpfe auf mehr oder weniger schönen Beinen? (Wobei ich die Frauen beileibe nicht auf eine Existenz als Kopffüßlerinnen reduziert sehen möchte.)

Noch alarmierender allerdings erscheint die Zahl der Analphabetinnen. Jede dritte Frau dieser Welt ist des Lesens und Schreiben nicht mächtig, das sind 33 % - fast die Hälfte mehr als bei den Männern (20 %). Was dies bedeutet, möchte ich nicht in ein Postkartenbild fassen, sondern in eine stets wiederkehrende Situation aus meinem Münchener Arbeitsalltag.

Jahrelang fand ich in meinem Büro immer wieder kurze, auf kleine Zettel gemalte Botschaften von Dunija, der bosnischen Reinemachefrau. Diese Botschaften gaben mir regelmäßig Rätsel auf. Nicht etwa, weil sie serbokroatisch wären, sondern weil sie aus Buchstabenfolgen bestehen, die - stumm gelesen - keinen Sinn ergaben. Der erschloß sich erst, wenn man die Wörter laut las. Dunija, des Deutschen nur mündlich und rudimentär mächtig, schrieb das, was sie mir als Fortsetzung unserer gelegentlichen Gespräche mitteilen wollte, so auf, wie sie es aussprach - in einer wesentlich krasseren und realitätsnäheren Form jenes Ultradoitsch, das es mittlerweile sogar zu literarischen Ehren gebracht hat.

Dunija war eine äußerst tüchtige Frau und durchaus in der lage, mit Kind und ohne Mann in einer deutschen Großstatdt unter allerwidrigsten Umständen ihren und ihrer heimatlichen Sippe Lebensunterhalt zu verdienen - ohne daß sie hätte lesen oder schreiben können. Und dennoch: Als ich ihr anbot, diesem Manko abzuhelfen, mit ihr zu lernen, da sprach die ganze Bitterkeit der Quasi-Analphabetin aus ihr. Nein, sie könne das nicht. Nur vier Jahre habe sie daheim in Bosnien die Schule besuchen dürfen, und nie habe sie lesen, schreiben lernen dürfen. Nun aber sei es zu spät. Sie traue sich das Lernen nicht mehr zu. Davon ist Dunija trotz allen Zuredens nicht abzubringen, obwohl sie sehr gut einzuschätzen weiß, welche Möglichkeiten ihr ihres Analphabetismus wegen verschlossen sind - trotz eines klugen Kopfes und jeder Menge Lebensklugheit. Schöne Beine allerdings spielen in dieser Lebenswirklichkeit - anders als im Bildklischee - nur eine ganz und gar nebensächliche Rolle.



Der Text ist die leicht veränderte Fassung einer Rede, die die Verfasserin als Frauenbeauftragte der LMU am 24. Juli 1997 zur Eröffnung der Ausstellung "Schöne Beine - kluger Kopf. Was Männer und Frauen mit Lesen und Schreiben zu tun haben" im Institut für Sprachwissenschaft und Psycholinguistik gehalten hat. Die Ausstellung ist bis zum 24. August, Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr zu sehen. Adresse: Institut für Sprachwissenschaft und psycholinguistik der LMU, Oettingenstraße 67, Trakt F, 80538 München

 

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