Nomaden / Christa de Carouge / Mode / Deleuze / Anti-Disziplin |
Jo Maier Nomadenkleider
für Nomadendenker Nomaden-Denken wird (in Gilles Deleuze's Nietzsche-Lesebuch) über die Frage eingeführt, wer denn die jungen Nomaden wären? Wer die jungen Nietzsche Leser sind? Und was sie mit diesem nomadologisch-anders-zu-lesenden Nietzsche anfangen mögen? Folgt man der deleuzianischen Nomaden-Denker-Logik, dann besteht die Kunst des Nomadendenkens darin, sich nicht zu bewegen, sondern nur zu nomadisieren, um gewissermassen immer dem Ereignis folgend am gegenwärtig-gleichen Platz zu bleiben; indem es gelingt allen vorherrschenden & disziplinierenden Codes zu entgehen; indem es gelingt nomadische Einheiten in punktuellen Kämpfen und in Beziehungen zum Aussen zu erreichen. Dergestaltiges Nomadendenken erschliesst dann Einheiten in ausgreifend zu besetzenden Räumen, die nicht mit der inneren despotischen Einheit eingekerbt-kontrollierter Räume verglichen werden können. Nomadendenken schafft dann mechanische Bezüge zur Intuition, die sich (ganz selbstverständlich) ähnlich ereignishaft entfalten, wie die Kleider von Christa de Carouge, das Denken Nietzsches, oder das eben dort hineinprojizierte Nomadendenken von Deleuze. Spätestens hier höre ich die Frage, wer denn überhaupt Christa de Carouge ist & was Nomadendenken mit Kleider zu tun hat? Die kurze Antwort: den Fashion-Victim in mir beschäftigt, in was die jungen Nomaden sich heute hüllen wollen, wenn sie nicht gerade körperlos-unbekleidet durchs immer virtuellere Leben surfen? Wie würde ich mich anziehen wollen, wenn ich Räume nicht nur wie gewöhnlich einkerben, abzählen und kontrollieren --- sondern auch gestaltend, wirbelnd besetzen und passieren wollte. Anders formuliert bin ich über Christa de Carouge auf eine komplementäre, sinnliche Dimension des Nomadendenkens aufmerksam geworden, der ich hier gerne folgen mag. ![]() Meine erste Annäherung an das Nomadenkleider-Thema, fand in Zürich an der Räume01 statt --- eigentlich eine Designer-Möbel-Ausstellung, in deren Rahmen die Genf-Zürcher Kleider-Architektin Christa de Carouge eine Installation mit dem Titel Nomadenkleider inszenierte. Im Zentrum der alten ABB-Hallen in Oerlikon, waren (umgeben von hunderten mehr oder weniger zeitgeistigen Möbeln) gute 3 Duzend schwarze, handgefertigte Objekte zu einem Nomadenlager ausgelegt; dazwischen Kerzen, Sitzkissen, einige Bücher und die offensichtlich den Kleidern zugehörigen Taschen. Wie sich später herausstellen sollte, waren alle Kleider Einzelstücke, Design- und Funktionalitätsstudien --- die Christa de Carouge 4 Wochen lang während einer Asienreise eine zweite Haut waren, und ihr als Behausung gedient hatten. Die Objekte aus reiner Seide wurden bald (nicht nur von mir) ins Herz geschlossen --- zum Ende der Ausstellungen hätte ich am liebsten (m)ein Bündel aus dem ausliegenden geschnürt --- was allerdings nicht meine Art ist. Bewohnbare Kleider Die Vorstellung, wie man sich wohl in derartig für Nomaden angedachten Kleidern bewegen würde, sollte mich jedoch von diesem Nachmittag an nicht mehr los lassen. Noch am selben Abend fasste ich meine Eindrücke in einem kurzen Mail an Christa de Carouge zusammen, von der ich bis anhin nichts und zwei Google-Stunden später ein bißchen mehr wusste. (http://www.nic-las.com/stalker/ref.asp?area=develop&diff=nomadenkleider)
Als Reaktion, auf dieses spontan entstandene Mail, kam es dann auch zu Anschlußkommunikation in Form von anregenden Gesprächen bei Rotwein und Kaffee. An deren Beginn standen unser Nomadendenken, bewohnbare Kleider und die zukünftige Bewohnbarkeit virtueller Informationsumwelten --- und deren Abschluss zum Glück noch nicht absehbar ist. Als unbeobachteter Dritter und Stichwortgeber, stand wohl nicht zuletzt auch Gilles Deleuze hinter unseren Rücken, der als grösster gemeinsamer Nenner immer auch Bewegungen, Wechselspiele und (immer potentiell auch revolutionäre) Faltungen denkt. Das Leben der Nomaden wird zum Intermezzo, in dem selbst die Bestandteile Ihrer Wohnstätten im Hinblick auf den Weg entworfen sind, der sie immer wieder in Bewegung setzt. ![]()
Effekte dieser eigenartigen
Bewegungen, zeigen sich im ebenfalls im Rahmen der Nomadenkleider-Ausstellung
aufgelegenen Buches, das unter dem Titel Der persönlichen Lieblingsstücke in der Christa de Carouge Nomadenkleider-Installation gab es viele --- je länger ich darüber nachdenke umso mehr. Idealerweise müßte man immer ein ganzes Set auf & bei sich haben, um sich in jedem Moment eingepaßt so zu umhüllen, wie man sich gerade bewegt sehen mag. Muss ich trotzdem einem Stück besondere Aufmerksamkeit zu kommen lassen, so fällt meine Wahl auf die wunderbare Jacke, die auf den ersten Blick an Häftlingskleidung aus der Strafkolonie oder aus einem Tarikowski-Film erinnert. Dergestaltig bestechend-auffällige Schlichtheit ist selten geworden, in der aufsehenerregend effekthascherischen Gegenwart des Modetreibens. In aller Einfachheit ist es sogar meiner damaligen Begleiterin entgangen, daß das gute Stück aus grober Seide und keinesfalls wie angenommen aus einer Kunstfaser gefertigt ist. Das besondere an der Jacke, von der später zu erfahren ist, wonach es sich um ein Design-Studien-Unikat handelt, sind jedoch nicht nur ihre rauhe Stofflichkeit, sondern 10 fein wattierte Elemente'. Diese sind scheinbar zufällig von anderen neugierigen Besuchern(?) kissenartig um die Jacke herum angeordnet. Nach einigem Experimentieren wird klar: es handelt sich um beliebig variierbare Fühlelemente, die sich genau in die 10 für sie vorgesehenen Öffnungen einpassen, von denen sich je 4 auf der Jackenvorder- und -Rückseite, sowie 2 in den Ärmeln befinden. Diese Füllmenge erlaubt ein sanftes Spiel mit Volumen und schafft mit einfachsten gestalterischen Mitteln eine Ganzjahresjacke. Gleichzeitig eignen sich diese Kissen' offensichtlich auch als Sitzflächen für andere mitgereiste Nomaden und als Speise-Unterlagen und als Nackenrollen und als ... ![]() Insbesondere in der Differenz zu den exaltierten Konstruktionen anderer Modemacher, werden Christa de Carouges Vorstellung vom Nomaden-Werden und den zugehörigen Kleiderhüllen, zum angenehm zeitgemässen Anti-Mode-Konzept. Dies wird in der bemerkenswerte Konstanz ihres Schaffens über die letzten 15 Jahre ebenso sichtbar, wie in der produktionstechnischen Tatsache, dass sie innerhalb von wenigen Wochen vom Entwurf zum fertigen Kleidungsstück gelangt --- da sie alle bevorzugten Stoffe am Lager hat und Bemerkenswerterweise in der Schweiz fertigt; so daß eine intuitive Verbindung von gestalterischem Kunstgriff und realisierter Stofflichkeit sich in wenigen, natürlichen Bewegungen erreichen läßt. Von sich selbst sagt sie, dass der Raum, der ihren Körpers umhüllt, sich den wechselseitigen Bedürfnissen Ihres Körpers anpassen muss --- und nicht umgekehrt, der Körper sich an die wechselnden Einschränkungen der ihn umgebenden Räume fügen mag. Für Deleuze sind Nomaden diejenigen, die sich nicht bewegen, die immer im Zentrum ihrer Welt sind, einen glatten Raum besetzend. Als Antwort auf die Herausforderung verschiedener Milieus, die versuchen eingrenzend zu wirken und je zur vereinheitlichenden Bewegung zwingen. Nomaden setzen jede Bewegung in Beziehung zu sich selbst, entziehen sich jeder Territorialisierung und bewegen sich in einem ununterbrochenen werden aus sich selbst heraus. Diese Transformation im Stillstand --- dem Spiel zwischen mannigfaltigen Einheiten und einheitlichen Mannigfaltigkeiten --- entspricht Christa de Carouges Vorstellung, dass Nomaden in ihren Kleidern wohnen können sollen. Was tragen die jungen Nomaden von heute?
|
Ausführlichere Angaben zum Thema über e-mail beim Verfasser des Artikels: medienobservationen@lrz.uni-muenchen.de |
Sämtliche Beiträge dürfen
ohne Einwilligung der Autoren ausschließlich zu privaten Zwecken genutzt
werden. Alle Rechte vorbehalten.
© Medienobservationen 1997.