Krieg, Internet, Blogger,


Julian Kücklich

 

Aufklärer in der Blogosphäre. "Stefan Krempls Krieg und Internet.
Ausweg aus der Propaganda?"

 

Stell dir vor es ist Krieg und keiner sieht fern. Dies ist, überspitzt ausgedrückt, das Szenario das Stefan Krempl in seinem Buch Krieg und Internet. Ausweg aus der Propaganda? für die Zukunft entwirft. Denn die etablierten Massenmedien sind in den Verdacht der Desinformation geraten, zuletzt im Irak-Krieg, aber auch in anderen Konflikten der jüngsten Vergangenheit. Immer mehr Menschen sehen sich deshalb nach alternativen Informationsquellen um, und zwar nahe liegender Weise vor allem im Internet.

Trotz der Tendenz zur Kommerzialisierung und Konzentration des World Wide Web gilt dieses laut Krempl immer noch als 'unzensierbar', während die etablierten Medien im hektischen Tagesgeschäft allzu leicht auf die Propaganda der Kriegsparteien hereinfallen. Deutlich wird dies an spektakulären Falschmeldungen wie den Gerüchten von 'Konzentrationslagern im Kosovo' und dem angeblichen Uran-Shopping-Trip Saddam Husseins in Afrika.

Diese beiden Medienereignisse – deren eines ganz real im Selbstmord von David Kelly endete – bilden den Ausgangspunkt von Krempls Buch. Um seinen Gegenstand zu kontextualisieren, geht der Autor im Folgenden ausführlich auf die Geschichte der Propaganda und das problematische Verhältnis zwischen Medien und Politik ein. Auch Medientheoretiker wie Vilém Flusser und Paul Virilio werden zitiert, bevor es schließlich konkret um die Funktion der neuen Medien geht.

Den 'Hoffnungsträger Internet' stellt Krempl als weitgehend frei von politischen und ökonomischen Zwängen vor – oder zumindest erscheine es vielen so. Es eigne sich daher zwar nicht notwendigerweise als Instrument der Wahrheit, aber immerhin als Werkzeug zur 'Zersetzung der Lüge'. Damit nimmt der Autor bereits ein Fazit vorweg: als Ersatz für traditionelle Medien taugt das Internet kaum, allenfalls als Ergänzung, im Idealfall als Korrektiv zum bias der Medien.

Als wichtig erachtet Krempl weiterhin, dass es sich beim Internet nicht nur um ein Informations-, sondern auch um ein Kommunikationsmedium handelt. Daher entstehen im World Wide Web charakteristische Mischformen, die diese traditionell getrennten Funktionen miteinander verbinden. Zentrale Beispiele dafür sind zum einen die Mailingliste, die ein Medium der interpersonalen Kommunikation in ein Massenmedium verwandelt, zum anderen der Weblog (oder 'blog'), der das traditionelle Tagebuch in ein Nachrichtenmedium überführt.

Krempls Methode besteht darin, zwei traditionelle Printmedien – die Süddeutsche Zeitung und die New York Times – mit der Mailingliste nettime und verschiedenen Weblogs zu vergleichen. Krempl konzentriert sich dabei auf die Berichterstattung über den Kosovo-Konflikt 1999 sowie über den Irak-Krieg 2003. Diese Medienauswahl erscheint jedoch etwas fragwürdig: zum einen ist in hochwertigen Printmedien wie der SZ und der NYT ohnehin von einer differenzierteren Berichterstattung auszugehen – und die Analyse belegt dies – zum anderen erscheint die Beschränkung auf eine einzige Mailingliste recht willkürlich.

Da Krempl sich nicht an ein reines Fachpublikum richtet – eine 'umfangreiche wissenschaftliche Arbeit' über den Kosovo-Krieg soll 2004 erscheinen – mag ihm seine methodische Nachlässigkeit vom Leser nachgesehen werden. Allerdings leidet der Vergleich der beiden Konflikte darunter, dass für den Kosovo-Krieg umfangreiches Zahlenmaterial ausgewertet wurde, während sich Krempl beim Irak-Krieg auf reine Textanalyse verlässt. Problematisch wirkt sich auch die große zeitliche Nähe zum Geschehen aus: ob die Weblogs – und insbesondere die so genannten Warblogs – sich überhaupt langfristig in der medialen Landschaft etablieren können, bleibt abzuwarten.

Beim Leser entsteht dabei der Eindruck, dass das Kapitel über den Irak-Krieg nachträglich an ein bereits abgeschlossenes Projekt angehängt wurde, um die Aktualität des Buches zu gewährleisten. Dies zeigt sich auch an der schlampigen Lektoratsarbeit, bei der so mancher Druckfehler und einige Stilblüten und Anglizismen übersehen wurden. Obwohl das Buch insgesamt in einem flotten journalistischen Stil geschrieben ist (Krempl schreibt regelmäßig für c't und Telepolis ), trüben diese Flüchtigkeitsfehler das Lesevergnügen.

Immerhin das Kapitel über den Kosovo-Krieg erscheint – innerhalb des engen Rahmens der untersuchten Medien – durchaus geglückt. Krempl unterscheidet zunächst verschiedene Diskurse, die in den einzelnen Medien geführt wurden und nimmt dann eine Gewichtung vor, die zwar nicht sonderlich überraschend, an einigen Stellen aber durchaus aufschlussreich ist. So entspricht es beispielsweise durchaus den Erwartungen, dass der 'Rechtfertigungsdiskurs' in der SZ hauptsächlich im Nachrichtenteil stattfindet, während der 'Antikriegsdiskurs' sich auf das Feuilleton konzentriert.

Interessant sind natürlich vor allem die Abweichungen zwischen den Printmedien und der Mailingliste nettime. Angesichts des eher linksintellektuellen Abonnentenkreises der Liste vermag es kaum zu überraschen, dass der Rechtfertigungsdiskurs dort kaum Raum einnimmt. Stattdessen findet auf nettime eine umfassende Medienkritik statt, die auch vor dem eigenen Medium nicht halt macht. Als problematisch wird vor allem empfunden, dass die viel beschworene net community angesichts des Kriegs an ihre Grenzen zu stoßen scheint.

Das Fazit des Kosovo-Kapitels ist, dass die Mailingliste als wichtige Ergänzung anderer Nachrichtenquellen dienen kann, in einigen Fällen auch als Korrektiv zu propagandistischen Medien. Die hohen Erwartungen an die Netzkommunikation seien Krempl zu Folge aber weitgehend enttäuscht worden. Die Berichterstattung von Privatpersonen – teilweise auch aus dem Kriegsgebiet selbst – kann mit professionellem Journalismus letztlich nicht Schritt halten. Angesichts der 'Exklusivität' der Liste stellt sich weiterhin die Frage nach der Zugänglichkeit alternativer Medien.

Dieses Fazit ist für die Analyse der Irak-Kriegsberichtserstattung in SZ, NYT und nettime weitgehend dasselbe. Die einzige wesentliche Neuerung in der Medienlandschaft stellen die zahlreichen Blogs da, die das Geschehen auf dem Schlachtfeld kommentieren. Allen voran konzentriert sich Krempl auf den irakischen Blogger mit dem Pseudonym Salam Pax, der es während des Krieges mit seinen Berichten aus Bagdad zu einer gewissen Berühmtheit brachte.

Krempl stellt Salam Pax amerikanischen Blogger-Größen wie dem Neo-Konservativen Greg Reynolds und dem Liberalen Markos Moulitsas Zúniga gegenüber. Am Beispiel von Reynolds zeigt der Autor auf, wie Blogger auch zu einer Wiedereinschreibung von Propaganda in den Netzdiskurs beitragen können, indem etwa Zeitungsmeldungen über die irakischen weapons of mass destruction aufgebauscht werden, während die New York Times gleichzeitig der Lüge bezichtigt wird.

Die Analyse von Zúnigas DailyKos zeigt hingegen die wahren Möglichkeiten der Warblogs auf: im 'täglichen Kampf gegen die Desinformation' ist der Blogger darum bemüht, propagandistische Behauptungen zu entwerten und sie mit differenzierteren Standpunkten zu kontrastieren. Im Gegensatz zu Reynolds' polemischer und populistischer Rhetorik arbeitet Zúniga oft mit den Mitteln der Ironie, etwa wenn er den amerikanischen Präsidenten für seine überzeugende Argumentation lobt, nur um gleich darauf einzuwenden, dass sie leider auf längst widerlegten Behauptungen basierte.

Krempl zufolge kommt es in der heißen Phase des Irak-Kriegs zu einem regelrechten Showdown zwischen den Star-Bloggern. Zwischen den rechten und linken Lagern entspinnt sich eine wahre 'Schlacht' um die 'Interpretationshoheit' über die (Des-) Informationen aus den offiziellen Medien und dem Weißen Haus. Daran beteiligen sich auch die zahlreichen Blogger, die direkt aus dem Irak berichten, neben Soldaten wie 'Sgt. Stryker' auch Ärzte, die mit den 'Kollateralschäden' der amerikanischen smart bombs konfrontiert sind.

Krempl kommt zu dem Schluss, dass die Stimmenvielfalt sich durch die Warblogs enorm erhöht habe und er lässt keinen Zweifel daran, dass er dies für eine positive Entwicklung hält. Er setzt sich nur am Rande mit der Frage auseinander, ob der Informationsüberschuss im Internet nicht letztendlich zu einer Abstumpfung der überforderten Rezipienten führt. Er hebt hingegen vor allem die Tatsache hervor, dass die Blogger die Rolle von Medienwächtern übernehmen, die traditionell vor allem durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts ausgeübt wurde. Dabei lässt er die Frage, ob es dadurch zu einer Verschiebung zwischen privater und öffentlicher Sphäre kommt, jedoch unbeantwortet.

Angesichts dieser offenen Fragen erscheint Krempls Resümee, dass das Internet ein neues Forum der Gegenöffentlichkeit darstellt, etwas zu optimistisch. Dies liegt auch daran, dass er sich im Wesentlichen auf die Propaganda von NATO und US-Regierung konzentriert und die der Gegenseite nur am Rande erwähnt. Er setzt sich auch nicht damit auseinander, ob es durch die zunehmende Ausrichtung der Nachrichtenkanäle auf eng definierte Zielgruppen (narrowcasting) zu einer Zersplitterung der Öffentlichkeit kommt. Stattdessen versteigt er sich zu der Vermutung, dass 'erst mit dem Internet […] überhaupt eine interaktive, demokratische Öffentlichkeit entsteht'. Die Frage danach, ob das Internet wirklich einen Ausweg aus der Propaganda bietet, bleibt daher letztendlich unbeantwortet.

Stefan Krempl: Krieg und Internet. Ausweg aus der Propaganda? Hannover: Heise 2004. 235 S. € 18,00, ISBN 3-936931-09-7. http://www.spindoktor.de.



Verfasser: Julian Kücklich, veröffentlicht am 15.02.2004

   
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