Daniel Krause

 

Molwanîen oder:
Australien träumt den Balkan.

 

Abstract: Ein australisches Autorenkollektiv hat seit 2003 mit dem sogenannten Molwanîen-Projekt einiges Aufsehen erregt. Ein imaginärer Balkan-Staat wird vorgestellt, als sei er Wirklichkeit – in Büchern, Websites und öffentlichen Präsentationen. Der deutsche Molwanîen-Hype hat seinen Höhepunkt seit einigen Monaten überschritten. Grund genug für die Medienobservationen, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Was hatte es auf sich mit dem „Land des schadhaften Lächelns“? War es der Aufmerksamkeit wert? Wir wollen nicht medienpsychologische Überlegungen in den Vordergrund stellen. Unser Interesse gilt dem sachlichen Gehalt des Medienprodukts 'Molwanîen’.


Australien träumt den Balkan…

Politisch korrekter Humor ist eine fade Angelegenheit. Das heißt aber nicht, unkorrekte Scherze seien per se humoristisch wertvoll. Die aufsehenerregendste unter den absichtsvoll unkorrekten Humoräußerungen der jüngsten Vergangenheit ist Santo Cilauros/Tom Gleisners/Rob Sitchs Molwania – A Land Untouched by Modern Dentistry, 2003 bei einem kleinen australischen Verlag erschienen. Es handelt sich um den Reiseführer einer imaginären Balkanrepublik, die satirisch überzeichnende Darstellung all dessen, was Europas Südosten (dem Klischee nach) ausmacht. Random House erwirbt wenig später die geistigen Eigentumsrechte jenes fiktionalen Weltteils. 2005 wird eine Übersetzung auf den deutschen Markt gebracht: Molwanîen – Land des schadhaften Lächelns. Im selben Jahr noch produziert der Hessische Rundfunk eine Hörbuchfassung. Dies ist der vorläufige Endpunkt der Wertschöpfungskette, ein multimediales Reisefeature, in manchen Zügen täuschend echt.

Das Medienecho auf Buch- wie Hörspielfassung ist bemerkenswert. Die meisten Feuilletons rezensieren Molwanîen enthusiastisch – ungewöhnlich genug für einen 'Scherzartikel’ aus dem Outback. Einen der Gründe mag man im Fehlen jedes Präzedenzfalls erkennen. Nicht um politisch-agitatorische Interventionen ist es jenen Australiern zu tun, sondern um bitterböse Satiren, nah an der Wirklichkeit des europäischen Südostens. Überdeutlich spielt der Name auf Moldawien an. Der Balkan – zur Kenntlichkeit entstellt, als zivilisationshistorisches Kuriosum. (Das ist jedenfalls der Anspruch.)

Die Radiofassung kommt wie ein Doku-Feature daher. Fiktionssignale gibt es durchaus, allein sie sind von subtiler Art und wollen sich nicht jedermann erschließen. Im Booklet lesen wir:

„Das von Andreas Horchler produzierte hr-Feature bringt Molwanien zum Klingen, vom westlichen Plateau bis zur östlichen Steppe […]. Mit Hilfe der ARD-Aussprachedatenbank und Roland Heinemanns Gespür für die richtige Betonung gelang es, eine zungenzerbrechende Phonetik dieser komplexen und komplizierten Sprache zu entwickeln.“

So weit, so scheinbar authentisch. Den Antipoden wird es nicht leicht fallen, Molwanîen als literarisches Konstrukt zu entlarven. Freilich: Was aus australischer Perspektive noch glaubhaft scheinen mag, muss europäische Leser befremden. Nicht selten unterlaufen den Autoren derbe Schnitzer. So wird behauptet, Molwanîen, das östlich in die Steppe ausgreife, grenze im Westen an Deutschland: Ost- und Mitteleuropa werden umstandslos konfundiert, historische und gegenwärtige Grenzverläufe verwischt. Das Booklet zeigt Menschen in rumänischer Tracht, andererseits türkischen Bauchtanz. Solcherart sind die sachlichen Irritationen. Darüber hinaus schwankt das Niveau der Scherze. Manches ist geistreich:

„Was Besuchern der östlichen Landesteile Molwanîens zu allererst auffällt, ist wohl die Intensität der Farben: üppiges Grün, erdiges Braun, kraftvolles Gelb erstrahlen in blendender Pracht aus den Gebissen der Einheimischen […].“

Ebenso dies:

„Tip Sprache – Es gibt vier Geschlechter: Maskulinum, Femininum, Neutrum und das Kollektivsubstantiv für Käsesorten, eine eigenständige Nomina-Untergruppe.“

Über das molwanîsche „Nationalfahrzeug“ heißt es, um einiges platter:

„Dieses funktionale Fahrzeug mag westlichen Augen durchaus unorthodox erscheinen, mit einem Frontscheinwerfer, drei Zylindern und Kerzenbeleuchtung im Inneren.“

Wir wollen uns nicht mit den vielerlei Zoten aufhalten. Moralisch ist den Autoren ohnehin nicht am Zeug zu flicken. Humor war noch nie an politischer Korrektheit zu messen, auch nicht am Wahrheitsgehalt einzelner Insinuationen. Witze können nicht böse sein – allenfalls schlecht.

Die Adaption des australischen Originals durch Andreas Horchler ist derart überzeugend gelungen, dass die Hörbuchfassung zugleich zur Satire aufs Genre 'Reisefeature’ gerät. Es geht um beides: Der 'Osten’ wird verhohnepipelt, doch auch die Gattung. Der Kommentar im Booklet macht das hinreichend deutlich:

„Molwanîen, Land des schadhaften Lächelns, der Reiseführer von Santo Cilauro, Tom Gleisner und Rob Sitch stürmt die Bestsellerlisten. Ein Buch über ein Land, im dem mit dem Strubl bezahlt wird, wo vegetarisches Essen nicht mehr als 25% Schweinefleisch enthalten darf und der Nationaldenker Djar Rzeumerten schon im 18. Jahrhundert den Beweis erbrachte, dass er selbst nicht existierte. Ein Buch über den Reiseführerwahn im Westen und die Kuriositäten in Osteuropa zwischen Aberglauben, Kommunismus und Moderne. Molwanîen gibt es nicht, aber das Land des schadhaften Lächelns beinhaltet alles, was in einen Reiseführer gehört, und darüber hinaus eine gehörige Portion Dreistigkeit!“

Molwanîen versteht sich demgemäß als Satire auf 'westliche’ Blickverengungen und Elendsvoyeurismus, auf den Balkan als Projektionsraum des 'Westens’. Freilich: Den meisten Lesern wird das entgehen. (Ein Gleiches gilt für die Lehár-Anspielung: Land des Lächelns.) Jene Ironiesignale, die Molwanîen als Satire aufs Genre und 'westliche’ 'Ost’-Phantasien ausweisen, sind ungewöhnlich diskret formuliert. Fast scheint es, als hätten sie Alibi-Charakter; als ginge es im Letzten dann doch um den 'Osten’, wenngleich unter dem Deckmantel journalistischer Selbstironie. Dafür gibt es einige Anhaltspunkte, auch unabhängig vom Molwanîen-Projekt: Immer deutlicher ist ein Bedürfnis festzustellen, den 'Osten’ Europas, die 'nächste Ferne’ des 'Westens’, als Projektionsraum für allerhand Sehnsüchte und Phantasien zurückzugewinnen. Dass der Begriff 'Sarmatien’ wiederentdeckt wird – längst gehört er zum Wortschatz der Feuilletonisten –, fügt sich trefflich ins Bild. 'Sarmatien’ meint bei den Römern den Raum zwischen Weichsel und Wolga. Nun wird es zum Inbegriff des wilden, dunklen 'Ostens’ – als eines Phantasmas des 'Westens’. Vorsicht ist geboten: Im wirklichen Osten (diesseits der russischen Grenzen) legt kaum jemand Wert auf kulturelle Absonderung. Man will dem 'Westen’ gleichen. Für jene Phantasmen bringt man kaum Verständnis auf. So gesehen ist Molwanîens derber Witz sentimentalen Ergüssen allemal vorzuziehen. Sofern es zur Kenntnis genommen wird, erregt Molwanîen weniger Unmut, als mancher im 'Westen’ vermutet: In Selbsthass und Zynismus ist man bestens geschult; und das eigentliche Übel ist nicht die Geringschätzung, die 'Hoffart’ des 'Westens’, sondern sein Desinteresse der Wirklichkeit im europäischen 'Osten’ gegenüber.


Hinweis

Mehrere Websites spinnen die Idee Molwanîens fort. Das Autorenkollektiv hat einen weiteren imaginären Reiseführer vorgelegt: Phaic Tan. Land des krampfhaften Lächelns. Ob es gelingt, den Molwanîen-Hype zu wiederholen, lässt sich vorerst nicht absehen.



Verfasser: Daniel Krause, veröffentlicht am 21.11.2006

   
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