Alexander Kolerus

Back to the Roots.

Peter Jacksons King Kong und die Rückkehr des Illusionskinos

Abstract: Was haben ein riesiger Affe, ein neuseeländischer Regisseur und das Kino gemeinsam? Der Beitrag versucht eine Antwort.


Worum geht es eigentlich in King Kong? Das habe ich noch nie so richtig begriffen. Zunächst einmal gibt es da zwei parallel laufende Geschichten, die auf merkwürdig undurchsichtige Weise miteinander verwoben scheinen. Geschichte 1: Ein riesiger Affe wird aus dem Urwald nach New York verfrachtet, um von gewissenlosen Produzenten der Unterhaltungsindustrie als Broadway-Attraktion ausgebeutet zu werden. Geschichte 2: Der Affe verknallt sich in eine amerikanische Plastikblondine, was ihn dazu veranlasst, im Rahmen eines cholerischen Anfalls mit Autos um sich zu werfen und die halbe Stadt in Schutt und Asche zu legen. Anschließend klettert er auf das Empire State Building, fuchtelt dort verwirrt um sich, wird von den Maschinengewehren einer angreifenden Fliegerstaffel zerhackt und stürzt schließlich zu Tode. Obwohl das Vieh gerade eine grauenerregende Schneise der Verwüstung durch die größte Metropole der neuen Welt geschlagen hat, sind darüber komischerweise alle traurig - abgesehen natürlich von den sensationsgeilen Reportern, die auf den zerschellten Kadaver ein geschmackloses Blitzlichtgewitter niedergehen lassen.

Wer versucht ist, in dieser Geschichte nach möglicherweise vorhandenen Anzeichen von Tiefgang zu fahnden, schreckt in der Regel schnell vor ihrer plumpen Symbolik zurück. Alles ist da irgendwie zu groß, zu billig, zu kitschig und zu reißerisch: Eine kritische Abrechnung mit der Skrupellosigkeit profitgieriger Showbusiness-Manager? Warum nicht. Aber hätte man das nicht ein wenig leiser und subtiler verpacken können? Braucht es da gleich einen lauthals brüllenden primitiven Affen, der das Broadway-Theater mit bloßen Pranken niederreißt und die entsetzten Zuschauer tottrampelt? Da murmelt ja selbst der radikalste Kommerzhasser betroffen, so sei es aber dann doch nicht gemeint gewesen.

Eine rührselige Liebesgeschichte nach dem Muster Beauty and the Beast? Warum nicht. Aber muss der Kontrast denn wirklich derart bis zum Anschlag aufgedreht sein? Die extra aus dem Urwald herangekarrte, grunzend die behaarte Brust trommelnde Männlichkeit, gezähmt durch den unschuldigen Blick und das blonde Engelshaar des unerträglich naiven Broadway-Sternchens? Ein Urvieh dieser Kragenweite müsste doch wenigstens genug Exotik aufweisen, um auf eine Rot- oder Schwarzhaarige hereinzufallen. Dann wäre zwar die rassistische Semantik nicht mehr so schön offensichtlich - aber die ganze Sache darauf reduzieren zu wollen, wäre ohnehin zu einfach. Bleibt die Frage: Worum geht es da eigentlich?

So ist das mit King Kong: Man hat eine Idee und freut sich schon darüber, der erste zu sein, der das Werk begriffen hat, und dann prallt man mit voller Wucht auf eine der zahllosen Banalitäten. Trotzdem war und ist die Verlockung groß, hier allerlei Gleichnisse und Anspielungen zu sehen. Aber immer wenn man versucht, diesem Stoff irgendeine Form von Anspruch abzujagen, entsteht schnell der Eindruck künstlicher Beatmung. So auch im letzten Filmprojekt (vor Jackson) aus dem Jahr 1976, das eine Interpretation aus der Sicht der Umweltschutzbewegung wagt. Plötzlich sind es profitgeile Ölmultis, die die Expedition auf die urzeitliche Insel ausrüsten, um sich die dort vermuteten Erdölreserven unter den Nagel zu reißen. Weil das nicht klappt, nehmen sie halt den Affen mit. Geld ist Geld. John Guillermins Film handelt denn auch mehr von Globalisierung und Gewissen als von Showbusiness und Liebe: Zum Schluss klettert der haarige Held nicht mehr auf das Empire State Building, sondern - prophetischer Schauder - auf das World Trade Center. Und als er wieder einmal herunterfällt, hat man das unbehagliche Gefühl, dass sie es diesmal tatsächlich geschafft haben könnten.

Dreißig Jahre ist das jetzt her. Dreißig Jahre verschämter Stille, in denen es niemand gewagt hat, den Wahnsinn noch einmal heraufzubeschwören - und das war vielleicht auch besser so. Was passieren kann, wenn man sich ohne jede dramaturgische Spannkraft allein auf die nostalgische Aura klassischer Filmmonster verlässt, hat uns eindrücklich das jüngste Godzilla-Debakel vor Augen geführt. Von Absurditäten wie Alien vs. Predator wollen wir gar nicht erst anfangen. Andererseits war es vielleicht genau deswegen auch höchste Zeit, dass der Altmeister vorbeischaut, wütend auf die Brust trommelt, ordentlich mit den ganzen Effekthaschern aufräumt und uns zeigt, wie man es richtig macht und wo es gefälligst langzugehen hat.

Es ist immer ein ganz besonderer, ein magischer Moment, wenn die hoffnungslos miss- und unverstandene Kreatur ihren Beschwörer findet.

Da haben wir einmal diesen riesigen, auf keine Weise zu zähmenden Affen, von dem man nicht genau weiß, ob er einfach nur eine Manifestation der besinnungslosen US-amerikanischen schneller-lauter-höher-Mentalität der 20er und 30er Jahre darstellt, oder ob vielleicht doch mehr dahinter steckt, als viele Leute wahrhaben wollen. Schließlich ist er ja offenbar auch zu romantischer Zärtlichkeit fähig, was so gar nicht zu seinem Berserkertum passen will. Und da haben wir zum Anderen einen übergewichtigen, vollbärtigen und immer leicht ungepflegten Neuseeländer, der sein Brot früher mit in ihrer Geschmacklosigkeit einzigartigen Zombie-Splatter-Filmen verdiente, zwischendurch den Puppentrickfilm revolutionierte, plötzlich mit einer feinsinnigen Liebesgeschichte ein ungeahntes Talent für den niveauvollen Autorenfilm demonstrierte, dabei wie nebenbei einen späteren Superstar entdeckte, schließlich mithilfe des schon ausrangiert geglaubten Michael J. Fox den Anschluss an Hollywood schaffte und dort angekommen - potzblitz - kurzerhand den Herrn der Ringe verfilmte. Einfach so und von Deckel zu Deckel.

Schwer zu sagen, was man von diesem Jackson halten soll. Und genau das verbindet ihn mit King Kong - abgesehen davon, dass beide viele Haare haben und von einer Insel stammen, die man nicht gerade als leuchtendes Zentrum der abendländischen Zivilisation bezeichnen kann. Nur eines lässt sich über diesen Regisseur wohl mit Sicherheit sagen: dass ihm jedes Mittel recht ist, um Filme machen zu können.

So geht es auch Carl Denham, einer der Hauptfiguren aus dem ersten King Kong Film von 1933, die Jackson in seiner Neuauflage wiederbelebt. Denham, von den Wirren der Wirtschaftsdepression gebeutelter Filmregisseur am Rand des Karriereabgrunds, interessiert sich einen Dreck für finanzielle Beschränkungen und unternehmerische Hackordnungen. Obwohl sein Projekt von den Produzenten gestrichen wird und die finanziellen Mittel auf Eis gelegt sind, engagiert er von der Straße weg das blonde Wo-geht's-hier-zum-Film-Sternchen Ann Darrow für eine Hauptrolle, entführt den Broadway-Schriftsteller Jack Driscoll und läuft mit seiner Filmcrew auf einem gecharterten Dampfschiff aus, um das sagenumwobene Skull Island zu finden. Diesmal ist es also wieder ein Filmteam, das sich aus dem New York der frühen 30er Jahre aufmacht, um einen der letzten weißen Flecken auf der Landkarte der Illusion aufzusuchen und dort Aufnahmen zu machen, wie sie noch nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Die um Sekunden zu spät eingetroffene Polizei kann den Flüchtigen nur noch vom Pier aus nachschreien und eine Belohnung auf Denhams Ergreifung aussetzen. Alle Brücken sind abgebrochen und es gibt kein Zurück mehr.

Jacksons Film scheint sich zunächst sehr streng an der ursprünglichen Fassung zu orientieren. Aber schon als Denham das rostige Dampfschiff inspiziert, deutet sich an, dass es hier um mehr geht als um ein bloßes remake. Im Frachtraum steht eine Kiste mit der Aufschrift Sumatra Rat Monkey. Zumindest der männliche Teil der heute um die 30jährigen weiß, dass es sich dabei um eine Spezies handelt, die aus der Vergewaltigung tropischer Äffchen durch europäische Schiffsratten hervorgegangen ist und die Eigenschaft hat, jeden, den sie beißt, in einen Zombie zu verwandeln. Die Reise führt mithin in Jacksons altes Genre, den präkommerziellen Splattermovie, wo Ohren in Puddings fallen und Zombie-Parties mit Rasenmähern aufgelöst werden. Schon Brain Dead erzählte ja gewissermaßen die Geschichte King Kongs. Nur der Affe war eben kleiner. Und das Budget mit Sicherheit auch.

Aber Jackson hat noch mehr im Gepäck als seine eigene Vergangenheit als Filmschaffender. Da ist der unerfahrene junge Matrose, der in den Arbeitspausen Heart of Darkness liest und dem weisen alten Matrosen begeistert mitteilt: Die erleben Abenteuer auf einem Dampfschiff! Genau wie wir! So wird Joseph Conrads Werk zum Steinbruch für eine begleitende Kommentarebene. Die köstlichen, in unregelmäßigen Abständen eingestreuten Lehrdialoge beleuchten die Filmhandlung mithilfe der Semantik des Abenteuerromans, aber weder Film noch Buch scheinen in der Lage, genau auf den Punkt zu bringen, was eigentlich der Zweck der ganzen Veranstaltung ist. Warum ist Marlow weitergegangen? Warum lässt ein arrivierter Regisseur alles hinter sich und wird zum Kriminellen, nur um eine prähistorische Insel zu suchen, die obendrein höchstwahrscheinlich überhaupt nicht existiert? Beide Geschichten kreisen um dieselbe Frage, und die Antwort wird uns jeweils vorenthalten, bleibt außer Reichweite der in Anschlag gebrachten Beschreibungssysteme. Da dämmert es schließlich sogar dem unerfahrenen jungen Matrosen: Hier geht's doch um mehr als nur um eine Abenteuergeschichte... Ganz genau.

Um dieses Mehr wenn nicht zu artikulieren, so doch möglichst eng einzukreisen, montiert Jackson cineastische Präzedenzfälle zu einer eklektizistischen perspektivischen Apparatur. Das Ergebnis ist eine sehr gelungene, dem Kino nicht neue Erzählstrategie, die man vielleicht am besten als ‚induktiv' bezeichnen kann. Schon andere Regisseure haben ja von der Reise in den Dschungel berichtet. Dass Jackson zur Verstärkung Francis Ford Coppola und Werner Herzog mit an Bord nimmt, ist also nur menschlich - was wäre schließlich der junge unerfahrene Matrose ohne die älteren weisen Matrosen? Was die Troika außerdem eint, ist die psychologisch sicherlich bedenkliche, künstlerisch aber extrem fruchtbare Identifikation des Regisseurs mit seiner Hautpfigur. Es war ja nicht nur der fiktive Fitzcarraldo oder der größenwahnsinnige Aguirre, der durch das Kopfjägergebiet den Fluss hinauffuhr, um die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit zu überschreiten. Herzog selbst schachert in Les Banks' Burden of Dreams mit einem entsetzten Ingenieur um Menschenleben, um die "zentrale Metapher" seines Films zu retten. Und auch über Coppola hört man Geschichten, die vermuten lassen, der Aufenthalt im Urwald habe seinem Verstand nicht eben gut getan. Die Barriere zwischen Fiktion und Realität wird in diesen Geschichten auf vielen Ebenen thematisiert. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, sie sei das eigentliche Thema. Kristallisationen sind Hauptfiguren wie Fitzcarraldo, Captain Willard und Carl Denham auf der einen, vom Cäsarenwahn erfasste Regisseure wie Herzog, Coppola und Jackson selbst auf der anderen Seite. Was der Dschungel dabei für eine Rolle spielt, versucht bei Coppola etwas unbeholfen und mit sichtlichem Unbehagen der diensthabende General auf den Punkt zu bringen: Out there with these natives it must be a temptation to be god. Because there's a conflict in every human heart between the rational and irrational, between good and evil, and good does not always triumph.

Dass sich das Unternehmen King Kong als Gratwanderung zwischen ‚Gut' und ‚Böse' abspielt, zwischen Verstand und Wahnsinn, Zivilisation und Dschungel, Struktur und Chaos, Pathos und Gelächter, Identitätssicherung und Selbstverlust - immer mit gefährlicher Neigung zum zweiten -, bildet fortan den Generator der Geschichte. So ist es nicht der dem linearen Denken verpflichtete Schreiber, sondern der Regisseur, der Wahnsinnige, der als Erster den Affen sieht. Der Schriftsteller kann da nur neiderfüllt zu Rede stellen: Sie haben etwas gesehen? Und so ist es. Der Regisseur hat was gesehen. Dann kann es ja wohl endlich losgehen.

Der erste Auftritt des Untiers hat die Aura eines seit den Urzeiten des Kinos tausendfach wiederholten Rituals. Bevor King Kong zum Getrommel der Wilden seine Blondine abholt, ist uns ja allen klar, dass wir das, was jetzt gleich kommt, nicht zu erstenmal sehen. Das akzeptiert glücklicherweise auch Jackson, und so erhält die Szene nicht nur etwas Klassisches, sondern darüber hinaus etwas regelrecht Meditatives. Eine Art Kommunion scheint da vor sich zu gehen, und zwar nicht nur für die primitiven Insulaner, die dem Riesenaffen das Menschenopfer darbringen, sondern auch zwischen Regisseur und Kinopublikum, wobei Denham-Darsteller Jack Black eine geradezu unheimliche Priester- und Mittlerfunktion erfüllt. Manchmal wirkt es fast so, als sei er - der doch erwiesenermaßen im Film und auf der Leinwand ist - auch nur einer von uns, ein unbeteiligter Zuschauer, der für den Rezeptionsakt zwar unentbehrlich, für den längst festgelegten Fortgang der Handlung aber nicht weiter wichtig ist. Wenn Denham auch in den brisantesten Situationen unbeirrt mit der Kamera draufhält, sieht es so aus, als filme er einen Film, der längst gefilmt ist. Er bewegt sich in einer Welt, die in ausgetretenen und altbekannten Bahnen abläuft, ohne aber dadurch jemals ihre Faszination zu verlieren. Das ungeheure Spektakel, das sich nun für über zwei Stunden vor den Augen des staunenden Zuschauers abspielt, erhält seinen besonderen Reiz durchweg aus diesem Spiel der Perspektiven - ein Kunstgriff, durch den es irgendwie gelingt, von der bloßen Handlung dieser Geschichte ab- und auf etwas anderes, unartikulierbares hinzulenken, das die eigentliche Faszination des Phänomens King Kong auszumachen scheint und seinen Ort irgendwo zwischen Affe, Blondine, Schauspieler, Regisseur und Zuschauer hat. So gerät Jacksons Werk nicht zum befürchteten Nostalgieklamauk, sondern zu einer fantastischen Huldigung an das Kino schlechthin, einer großangelegten Autoreflexion des Mediums, die ihre dem Sujet übergeordneten Aussagen vor allem aus ihrer geschickten perspektivischen Organisation erzeugt.

Der prähistorische Held betätigt sich in diesem neuen postmodernen Lebensraum sogleich als erbarmungsloser Filmkritiker. Kaum in das Blickfeld der Kameras und damit zurück ins Kino gelangt, schaut King Kong bilanzierend um sich und wird sauer. Sauer zum Beispiel auf die vielen lästigen Steven-Spielberg-Dinosaurier, die im Lauf der Jahrzehnte sein Genre annektiert und fast zugrunde gerichtet haben - und ihm nun obendrein die frische Blondine abjagen wollen. Über weite Strecken des Films wird also zunächst ein blutiges Exempel statuiert, eine Art Freiermord epischen Ausmaßes, der schließlich die Saurier alt, King Kong hingegen umso homerischer aussehen lässt. Der längst tot geglaubte Altmeister kehrt zurück und schlägt sich mit dem maroden Zustand des Illusionskinos herum. Überhaupt macht Jackson die Urzeitsemantik der prähistorischen Umgebung so leichtfüßig und einfallsreich für Anspielungen und Zitate fruchtbar, dass einem schlicht die Spucke wegbleibt. Dabei kommt ihm vor allem auch ein gesundes Maß Respektlosigkeit zugute: Wo andere nur vor Ehrfurcht erschauern können, macht der Neuseeländer Nägel mit Köpfen. Was für eine großartig wahnwitzige Idee zum Beispiel, das Wagenrennen aus Ben Hur noch einmal auf die Leinwand zu bringen - diesmal aber nicht mit antiken Streitwagen, sondern mit in Panik geratenen Brontosauriern.

Im sich anschließenden New Yorker Teil der Handlung erleben wir die altbekannte kritische Abrechnung mit der selbstzerstörerischen Skrupellosigkeit des Showbusiness: Das blonde Sternchen, das seine große Liebe opfert, um ein Star zu werden. Der Regisseur, der den Zuschauern in seiner größten Stunde keinen Film, sondern die Kreatur selbst präsentiert, sein Medium verrät, die klassische Barriere zwischen Fiktion und Realität mir nichts dir nichts einreißt und damit alle in Lebensgefahr bringt: sich selbst, die Zuschauer, die Illusion. So berichtet King Kong von der Implosion des Mediums im fatalen Moment des direkten Kontakts; vom apokalyptischen Kollaps einer Grenze, die zu überschreiten zwar stets die Motivation, aber natürlich niemals ernsthaft das Ziel war. Und es ist die unbeherrschbare, alle medialen Fesseln sprengende Sensation selbst, die schließlich den Karren aus dem Dreck ziehen muss und sich heroisch opfert, um die Unterscheidung wieder einzuführen und uns somit doch noch zu bieten, wofür wir schließlich an der Kasse mit teurem Geld bezahlt haben: die große Illusion. King Kong klettert ja nicht auf das bis dato höchste Gebäude der Welt, weil - wie ein geistloser Passant bemerkt - das dumme Vieh es eben nicht besser weiß. Er tut es im Gegenteil aus tieferem Wissen, gleichsam als Märtyrer des Kinos. Er tut es, damit das Publikum zu seinem Recht kommt, der Regisseur weiter ein Getriebener sein und die Show für immer weitergehen kann.

Der autoreflexive Zug des ganzen Projekts wird im zweiten Teil der Geschichte freilich allein dadurch handfester und greifbarer, dass die Handlung in das sensationsversessene New York mit seinem legendären Broadway zurückkehrt. Dennoch gerät die Aussage bei Jackson facettenreicher und tiefsinniger, als es 1933 offenbar auch nur möglich war - und zwar nicht nur aufgrund durchaus avancierter Erzählstrategien und einer raffinierten Perspektivik. Das eigentlich Besondere, ja Einzigartige an diesem Film ist, dass er die in den letzten Jahrzehnten besinnungslos aufgeblähte Illusionsmaschinerie Hollywoods einsetzt, um einen gesteigerten Anspruch zu erzeugen. In der Post-Dogma-Phase des Kinos als einer Zeit, in der es zum schalen Gemeinplatz geworden ist, Tiefgang mit Täuschungsaskese gleichzusetzen, war eine solche Zäsur längst überfällig. Umso erfreulicher, dass es gerade kein US-Amerikaner ist, der uns wieder an die alten Tugenden heranführt: dass ausgerechnet das Kino niemals zur moralischen Bildungsanstalt degradiert werden kann, ohne dass es dadurch ganz und gar entschärft würde; dass es gerade das immer leicht Anstößige und Obszöne ist, der Geruch von Jahrmarkt, überstrapaziertem Klischee, primitiver Sensationslust, ausgenutzter Naivität, billiger Täuschung und latenter Prostitution, der diesem Medium seinen einzigartigen Reiz verleiht. Dass nirgendwo in der Medienwelt die Schere zwischen schönem Schein und bitterer Realität extremer geöffnet und mit heftigerem Pathos reflektiert werden kann als im Kino - der Glitzerwelt der gestorbenen Träume, verratenen Ideale, gewissenlosen Produzenten und über Leichen gehenden Regisseure. In diesem Sinne legt Peter Jackson eine leidenschaftliche Liebeserklärung an sein Medium vor - und zugleich eine originelle Autobiographie als Filmschaffender. In jeder Filmminute überträgt sich die Begeisterung des ewigen kleinen Jungen am grotesk überzeichneten Filmmonster, vermittelt über Jacksons Alter Ego, den fiktiven Filmregisseur Carl Denham, der eine herausgefallene Filmrolle beweint, wo andere über Leichen trauern. Wer wäre für diese Rolle besser geeignet gewesen als der Jackson auch optisch nicht unähnliche, ansonsten hauptberuflich auf der Bühne pubertierende Tenacious D-Frontmann Jack Black (School of Rock), dessen intensive, aus kindlicher Begeisterung und von Fanatismus genährter Verschlagenheit zusammengesetzte Mimik die ethische Gratwanderung perfekt sichtbar macht: István Szabó war ja schon nah dran. Aber wenn der Fauststoff in nächster Zeit wieder mal einen Bearbeiter finden sollte, muss die Hautpfigur ohne Zweifel ein Hollywood-Regisseur sein.

Dass man über diesen Film im Einzelnen nicht viel mehr schreiben kann, liegt daran, dass das, was er artikuliert, eigentlich nur im Medium Film artikulierbar ist. Peter Jackson ist ein so vielschichtiges, anspielungsreiches, witziges, emotionales und rundherum charmantes Werk gelungen, dass man schlicht entwaffnet ist. Ein Film, der uns zeigt, was nicht nur King Kong, sondern überhaupt das Kino ausmacht. Nämlich das, was uns verklemmte Illusionsmoralisten wie der chronisch überschätzte Lars vor Trier so dringlich ausreden und vermiesen wollen: das Risiko und der Reiz der totalen Illusion. Wer dazu aus welchen Gründen auch immer nicht bereit und in der Lage ist, hat im Kino genau genommen nichts verloren.

Jackson ist bereit, und in der Lage ist er auch, er hat es mit seiner bisherigen Laufbahn mehr als deutlich bewiesen. Immer wieder konnte er in der Vergangenheit die Gratwanderung zwischen Schund und Anspruch in eine einzigartige Handschrift umsetzen, die beide Ebenen verschmilzt und im Kino genau da ist, wo sie hingehört. Das Horrorgenre (Bad Taste, Brain Dead, The Frighteners) ist ihm ebenso vertraut wie die Showbusiness-Satire (Meet the Feebles), der komplexitätsreduzierte Esoterik-Pathos (Lord of the Rings) ebenso wie die ausgefeiltere psychologische Studie (Heavenly Creatures). Als Regisseur stand er von Anfang an zwischen Mist und Kunst, und man konnte nie genau feststellen, auf welcher Seite er letztendlich zu verorten ist - auch dies eine Ähnlichkeit mit King Kong. Dass es Jackson ist, der uns nun diese alte Geschichte erzählt und uns dabei gleichsam ins Unterbewusstsein des Kinos führt, ist eigentlich nur logisch.

Worum geht es also in dieser Geschichte? Vermutlich darum, dass wir um ein Haar erfahren hätten, worum es geht. Um jenes unermüdlich gejagte und ewig unartikulierbare, worüber King Kong und Ann Darrow im kitschigen Sonnenuntergang und auf schmerzhaft malerisch zugefrorenen Teichen allein durch Blicke erstaunlich authentisch zu kommunizieren scheinen, bevor das nächste Sprenggeschoss neben ihnen einschlägt und die Jagd weitergeht. Die Jagd nach dem perfekten Sonnenuntergang, nach der maßlosen Unterhaltung, nach dem magischen Moment, in dem sich zwei Flüsse (fast) berühren und die Zuschauer erstarren, wenn der Zug vorbeifährt. Wie schön, dass er auch nach diesem Film noch immer nicht genau zu benennen ist.



Verfasser: Alexander Kolerus, veröffentlicht am 16.01.2006

 

Sämtliche Beiträge dürfen ohne Einwilligung der Autoren ausschließlich zu privaten Zwecken genutzt werden. Alle Rechte vorbehalten.
© Medienobservationen 2006.