Christian Kirchmeier


Das Verlassen der Spiegelwelt

Grenzüberschreitungen im Film The Matrix

Abstract: Der Beitrag interpretiert den Film The Matrix (1999) ausgehend von Spiegeln und Spiegelungen. In einer Vorüberlegung werden Spiegel formal als Grenze zwischen realem und virtuellem Raum aufgefasst. Die Interpretation beginnt mit einer Analyse der Szene, in der Neo die Matrix verlässt. Neo muss in diesem Filmausschnitt erst selbst zu einem Spiegel werden, um die Grenze in die Wirklichkeit zu überschreiten. Dabei wird erneut eine Differenz zwischen Realität („real world“) und Virtualität (Matrix) sichtbar. Zieht ein Interpret diese Unterscheidung ein weiteres Mal, so gelangt er zu einem weiteren Thema des Films: zur Religion und der Differenz von Immanenz und Transzendenz. Ein Ausblick auf den letzten Teil der Matrixtrilogie zeigt, dass Neos Tod und das Verlassen der Matrix ähnlich strukturiert sind.

 

Spiegel in der Matrix

Der erste Teil der Matrix-Trilogie der Brüder Andy und Larry Wachowski aus dem Jahr 1999 war ein Publikumserfolg. Er spielte schon in der ersten Woche fast 50 Mio. $ ein und steht mit einem Bruttogewinn von über 460 Mio. $ auf Platz 61 in der Liste der erfolgreichsten Filme (Stand: April 2007) – knapp hinter Pretty Woman und noch vor Mission: Impossible.

Der Film beeindruckte das Publikum vor allem durch seine optische Gestaltung. Die gewonnenen Oscars für den besten Schnitt und die besten Spezialeffekte belegen diese Wirkung. Stilbildend wurde Matrix beispielsweise durch die Verwendung des „Bullet Time“-Effekts in Kampfszenen, bei denen die Bewegung scheinbar eingefroren ist, während die Kamera um die Akteure fährt. Häufig nachgeahmt wurde außerdem eine Einstellung in Zeitlupe, in der Neo den Schüssen aus einer Waffe ausweicht.

Die filmische Gestaltung geht aber über bloße technische Spielereien hinaus. Bei einer genaueren Analyse zeigt sich, dass einzelne Elemente des Films (oder metaphorisch gesprochen: des filmischen Textes) nicht willkürlich gesetzt sind, sondern als Teil einer durchkonstruierten Bildsprache aufgefasst werden können. Ich werde in dieser Interpretation von einem solchen Element ausgehen: von Spiegeln und deren visueller Semantik.

Anhand der folgenden Abbildungen (Abb. 1-4) soll zunächst dargelegt werden, dass der Film in zentralen Momenten Spiegel und Spiegelungen einsetzt.

Abb. 1: Neo und Trinity.

Abb. 2: Neo wird von den Agenten abgeführt.

Abb. 3: Neo wartet auf das Orakel.

Abb. 4: Gebäudefassade.

Beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten Neo und Trinity ist die Kameraperspektive so gewählt, dass sich zwischen beiden ein Wandspiegel befindet (Abb. 1). Als Neo von den Agenten abgeführt wird, also bei erstem Kontakt von Protagonist und Antagonisten, beobachtet Trinity (und mit ihr der Zuschauer) dies durch den Rückspiegel ihres Motorrads (Abb. 2). Wenn Neo zum ersten Mal das Orakel besucht, dessen Prophezeiungen die Handlungen der Akteure motivieren, zeigt ihn die Spiegelung eines Löffels (Abb. 3). Am Ende des Films ist die Stadtsilhouette mit komplett gespiegelten Gebäudefassaden zu sehen, in die schließlich ein Helikopter stürzt (Abb. 4).

Wer den Film wiederholt sieht, kann das gehäufte Erscheinen von Spiegeln beobachten. Es scheint geradezu eine Strategie des filmischen Textes zu sein, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf das Vorkommen der Spiegel zu bündeln. Der Text wirkt also so auf den Zuschauer, dass dieser aufgefordert wird, sich mit der Semantik des Spiegels in dem Film auseinanderzusetzen. Der Zuschauer und Interpret hat deswegen Grund zu fragen, was das Auftreten des Spiegels zu bedeuten hat.

Spiegel in der Optik

Bevor ich aber eine, wenn nicht sogar die Schlüsselszene des Films (Neos erstmaliges Verlassen der Matrix) hinsichtlich ihrer Spiegelmetaphorik analysiere und interpretiere, möchte ich verdeutlichen, was die nicht-metaphorischen Merkmale von Spiegeln sind. Erst wenn die eigentliche Bedeutung des Spiegels geklärt ist, wird die Spiegel-Analogie in der Handlung des Filmes verständlich. Die Überlegungen dazu führen in den Bereich der physikalischen Optik.

Die erste Feststellung scheint reichlich banal: Ein Spiegel setzt einen realen Raum voraus, der auch dann existiert, wenn keine Spiegel vorhanden sind, und der zunächst differenzlos ist. In diesem Raum können sich beliebige Objekte befinden, und auch ein Spiegel ist einfach ein Objekt in diesem Raum, so wie eine Tischplatte ein Objekt der realen Welt ist.

Was den Spiegel jedoch kennzeichnet, ist seine Funktion einer Verdopplung. Ein Beobachter sieht, dass der Spiegel durch die Reflexion von Lichtstrahlen den realen Raum als virtuellen Raum und die Objekte als virtuelle Objekte abbildet. Der Spiegel erzeugt also die Differenz von Realität und Virtualität. Unsere Alltagserfahrung lässt (anders als etwa Geschichten, in denen man durch den Spiegel eine andere Realität betreten kann) keinen Zweifel an der Virtualität des verdoppelten Raumes. In Wirklichkeit hat der Beobachter (wenigstens prinzipiell) die Möglichkeit, hinter den Spiegel zu treten und zu sehen, was sich dort befindet.

Der Spiegel trennt dabei, strukturell betrachtet, den realen von dem gespiegelten virtuellen Raum und erzeugt so eine Grenze, die nicht überschritten werden kann. Diese Unmöglichkeit hat schon in der Antike mythenbildende Erzählungen provoziert. So verhandelt beispielsweise der Narziss-Mythos, was geschehen kann, wenn man dennoch versucht, die Grenze zwischen Realität und Virtualität zu überschreiten: Narziss will sich mit seinem virtuellen Spiegelbild vereinigen und ertrinkt bei diesem Versuch. Matrix erzählt von einem ähnlichen Vorhaben – nur ist Neo hier erfolgreicher.

Neo verlässt die Matrix

Grundlage für meine Interpretation ist ein etwa siebenminütiger Filmausschnitt [Filmausschnitt als AVI-Datei - 7mb], in dem Neo zum ersten Mal die Matrix verlässt. In dieser kurzen Szene kommen gehäuft Spiegel vor:

Abb. 5: Schachtel mit den Pillen.

Abb. 6: Neo entscheidet sich für die rote Pille.

Abb. 7: Neo berührt den Wandspiegel.

Abb. 8: Der Spiegel breitet sich aus.

Der Filmausschnitt beginnt mit der Begegnung von Neo und Morpheus. Während des Gesprächs dreht Morpheus eine verspiegelte Schachtel zwischen seinen Fingern (Abb. 5), der er schließlich eine blaue und eine rote Pille entnimmt. Durch die Drehbewegung und die Lichtreflexe fokussiert die Einstellung auf die verspiegelte Box; das übrige Bild ist statisch. Die Pillen befinden sich in dem von der Schachtel eingeschlossenen realen Raum, der aber, solange die Schachtel verschlossen ist, völlig hinter dem von dem Spiegel erzeugten virtuellen Raum versteckt ist.

Mit den Worten „Unfortunately, no one can be told what the matrix is. You have to see it for yourself“ öffnet Morpheus die Schachtel. Glaubt man den Worten Morpheus’, dann geht es nicht mehr um eine Erzählung, sondern um visuelle Erfahrung, die der Zuschauer mit Neo teilen kann. Neo wird vor die Wahl gestellt, die blaue Pille zu nehmen, die dazu führt, dass er das Treffen mit Morpheus vergisst, oder die rote Pille zu nehmen, um zu sehen, was die Matrix ist – ohne eine Möglichkeit zur Rückkehr zu erhalten. Es ist erneut auffällig, wie der Film Neos Entscheidung für die rote Pille (die wichtigste Entscheidung des Films) zeigt: nämlich durch die gespiegelte Sonnenbrille von Morpheus (Abb. 6).

Neo wird nun in einen anderen Raum geführt, in dem einige Personen mit technischen Apparaten beschäftigt sind. Während er wartet, fällt ihm ein zerbrochener Spiegel an der Wand auf, der sich scheinbar von selbst wieder zusammenfügt. Neo berührt den Spiegel, der dabei wie eine zähe Flüssigkeit an seinem Finger haften bleibt (Abb. 7).

Die Spiegelfläche breitet sich immer weiter auf Neos Körper aus (Abb. 8). Als er selbst komplett zu einem Spiegel geworden ist, findet er sich plötzlich in der realen Welt (Morpheus: „the real world“), also außerhalb der Matrix, wieder.

Es gibt keine zweite Szene in dem Film, in der Spiegel so gehäuft vorkommen. Die verspiegelte Schachtel und Morpheus’ verspiegelten Brillengläser bereiten den Zuschauer motivisch auf die zentrale Funktion des Wandspiegels im Nebenzimmer vor.

Der Film stellt ausdrücklich dar, dass Neo komplett zu einem Spiegel wird. Selbst sein Rachen wird von der Spiegeloberfläche bedeckt. Durch den harten Schnitt kann der Zuschauer vermuten, dass genau mit Abschluss der Transformation in einen Spiegel Neo die Matrix verlassen hat.

Dass Neo den Wandspiegel berührt, ist nicht aus der Handlung motiviert. Mehr noch: Während der Film die Bedeutung des Spiegels für das Verlassen der Matrix nahe legt, ist das Verhalten der anderen Figuren rätselhaft. Neos Frage, wie der Spiegel zusammengefügt wurde, ignorieren die umstehenden Personen einfach. Sie fordern ihn auch nicht auf, den Spiegel zu berühren, und damit bleibt offen, ob diese Handlung ein notwendiger Bestandteil der Prozedur ist. Später können die Protagonisten die Matrix einfach durch ein Telefon verlassen. Es wird nicht erklärt, warum das nicht auch in diesem Fall funktioniert. Der Zuschauer erfährt nur, dass die Kapsel Teil eines Trace-Programms ist, durch das Neos realer Körper aufgespürt werden kann.

Grenzwerdung

Die Handlung des Films erklärt also nicht, warum Neo den Spiegel berührt und warum die Grenzüberschreitung aus der Matrix nicht auf andere Weise funktioniert. Eine Interpretation muss sich deswegen auf die Struktur des filmischen Textes beziehen. Was geschieht strukturell, wenn Neo in den Spiegel greift?

Zunächst ist festzuhalten, dass Neo dabei keine Grenze überschreitet. Er geht gerade nicht durch den Spiegel hindurch, wechselt also nicht vom realen in den virtuellen Raum. Stattdessen wird er selbst zu einem Spiegel und damit selbst zu einer Grenze, die zwischen realem und virtuellem Raum unterscheidet. Nun können sich zwar andere Objekte in ihm spiegeln, doch er selbst verliert relativ zu anderen Spiegeln seinen Objektstatus. Denn als Spiegel kann er sich selbst nicht mehr spiegeln – ein Phänomen, dass man beispielsweise von komplett verspiegelten Fahrstühlen kennt: Die Wände sind nicht mehr klar auszumachen, es gibt nur noch Spiegelungen von Spiegelungen und die Illusion eines unendlich großen Raumes.

Neo durchlebt eine (im wörtlichen Sinne) ‚Grenzerfahrung‘, die ihm die Möglichkeit zum Verlassen der Matrix bietet. Der Film inszeniert diese Grenzüberschreitung aus der Matrix in die Realität, indem er ihn selbst zu einer Grenze werden lässt.

In diesem Prozess wird er aber der Opposition von realem und virtuellem Raum enthoben. Er ist die Grenze zwischen diesen beiden Räumen und gehört deswegen selbst keiner dieser beiden Seiten an. Er ist also kein Element der Welt, die durch die Differenz von realem und virtuellem Raum konstituiert ist. Es ist daher nachvollziehbar, dass er nach seiner Transformation in die Grenzfläche des Spiegels die Welt verlässt, die sich in diesem Prozess als Matrix entlarvt. Neo wacht in der „real world“ auf.

Grenzüberschreitung

Der Film zeigt nun eine neue Differenz, und zwar die zwischen „real world“ und Matrix. Diese Differenz (Realität/Matrix) verdoppelt die ‚Spiegeldifferenz‘ realer/virtueller Raum. Während der Spiegel aber eine ‚echte‘ räumliche Grenze darstellt, ist die Grenze zwischen Realität und Matrix metaphorisch und ontologisch. Wer die Grenze des Computerprogramms der Matrix ‚überschreitet‘, findet sich in seinem realen Körper wieder.

Die „real world“ ist erst durch Neos Grenzüberschreitung sichtbar geworden. Sie wird zusätzlich markiert, indem sie sich als Welt ohne Spiegel präsentiert (Morpheus trägt etwa keine gespiegelten Sonnenbrillen mehr), während in der Welt der Matrix immer wieder Spiegel vorkommen. Um ein wenig mit den Begriffen zu spielen: Die Matrix gibt sich auch damit als ‚Spiegelwelt‘ zu erkennen.

Nachdem Neo die Grenze zwischen Matrix und Realität einmal überschritten hat, gestalten sich die folgenden Grenzüberschreitungen nur noch als technisches Problem. Er betritt die Matrix, indem er seinen Körper mit dem Computer verbindet, und verlässt die Matrix über das Telefon.

Solange ein Mensch die Matrix aber nicht verlassen hat, ist für ihn die Realität metaphysisch – sie ist aus der Physik der Matrix heraus nicht erreichbar. Anders gesagt: Es gibt innerhalb der Matrix keine Grenzen, die überschritten werden könnten, um in die metaphysische Realität zu gelangen. Diese Grenzüberschreitung, nämlich das Verlassen der Spiegelwelt, zeigt der Film als Grenzwerdung innerhalb der Matrix.

Rekursionen

Für den Film ist diese Grenzüberschreitung konstitutiv. Erst wenn Neo diese Grenze überschreitet, kann der Zuschauer ahnen, was die Matrix ist. Erst diese Grenzüberschreitung erzeugt das Sujet des Films. Gleichzeitig ist sie eine Abstraktion der Spiegeldifferenz: Wie der Spiegel zwischen realem und virtuellem Raum trennt, unterscheidet das Computerprogramm zwischen „real world“ und Matrix.

Die Struktur der Spiegeldifferenz ist rekursiv ineinander geschachtelt, sie wird auf nächsthöherer Ebene wiederholt. Zunächst trennt der Spiegel zwischen Realität1 und Virtualität1. Doch sowohl der reale Raum als auch der virtuelle Raum existieren nicht wirklich, sie sind nur Bestandteil der Matrix. Es werden also beide Seiten der Unterscheidung zusammengefasst und ergeben auf nächsthöherer Ebene eine Virtualität2 (die Matrix), von der eine Wirklichkeit2 auf höherer Ebene („real world“ als ‚wirkliche Wirklichkeit‘) unterschieden wird.

Diese Rekursion lässt sich noch einmal durchführen: So könnte man sowohl Matrix als auch „real world“ auf der einen Seite der Unterscheidung als Virtualität3 begreifen. Die andere Seite (Realität3) wäre in Analogie zur Spiegeldifferenz für die erste Seite metaphysisch. Die damit entstandene Unterscheidung ist eine der ältesten kulturellen Differenzen. Ihre beiden Seiten lassen sich als Immanenz und Transzendenz, als Diesseits und Jenseits oder (traditioneller) als Erde und Himmel bezeichnen.

Die folgende Tabelle soll das Schema verdeutlichen. Die beiden Seiten der Unterscheidung sowie die Grenze sind dabei jeweils benannt.

 
Virtualität1
Spiegel
Realität1

Matrix

(= Virtualität 2)

Programm

„real world“

(= Realität 2 )

Immanenz

(= Virtualität 3 )

(Tod)

Transzendenz

(= Realität 3)

Tab. 1: Schema der Differenzen.

Die dritte Ebene führt zu einem weiteren Thema von Matrix, nämlich der Religion. Eine Betrachtung der religiösen Semantik drängt sich bei dem Film regelrecht auf (vgl. dazu auch den zweiten Teil des Aufsatzes von Sebastian Görnitz-Rückert in den Medienobservationen). Besonders bedeutsam ist dabei der ‚Grenzgänger‘ Neo, dessen Name ihn bereits als ‚Erneuerer‘ kennzeichnet und für den ‚Einen‘ (one als Anagramm zu Neo) ausgibt. Seine Aufgabe im Verlauf des Films ist es, eine messianische Rolle anzunehmen.

Als Mensch, der zwischen Matrix und „real world“ hin- und herwechseln kann, steht Neo (und mit ihm die anderen Protagonisten) in struktureller Analogie zu denen, die zwischen Immanenz und Transzendenz wechseln können. Diese Grenzüberschreitung ist in der christlichen Tradition ein Merkmal von Heiligkeit; denn wer zwischen Diesseits und Jenseits vermitteln kann, der ist – salopp formuliert – schon ganz nah an Gott dran. Beispiele für solche Vermittler sind im Christentum Engel und vor allem Jesus selbst. Neo wird so schon durch die Struktur des Filmes in die Nähe einer Jesus-Figur gebracht.

Das Verlassen der Immanenz

Die Frage liegt nahe, wie weit die Rekursion der Spiegeldifferenz durchgeführt wird. Im ersten Fall musste Neo selbst zur Grenze, also zum Spiegel, werden, um die Matrix zu verlassen. Was ist mit der Grenze zwischen Matrix und „real world“? Sie ist ein Code, ein Programm, also ein relativ abstraktes Gebilde. Hat diese Grenze eine Bedeutung, wenn Neo die Immanenz verlässt?

Der erste Teil der Trilogie gibt keine Antwort auf diese Fragen. Neo wechselt zwar mehrfach zwischen Matrix und „real world“, bleibt aber dabei immer in der Immanenz. Erst am Ende des dritten Teils stellt der Film dar, wie Neo sowohl Matrix als auch „real world“ verlässt.

Neo ist ein letztes Mal mit Agent Smith, einem Wächter-Programm der Matrix, konfrontiert. Das Programm Smith hat inzwischen die Fähigkeit erworben, andere Personen aus der Matrix in eine Kopie seiner selbst zu transformieren. Mit einem bildlichen Zitat zum ersten Teil verwandelt sich auch Neo auf diese Weise in Smith (Abb. 9).

Abb. 9: Neo verwandelt sich in Smith.

In diesem Moment überschreitet Neo eine letzte Grenze: Er stirbt und verlässt so Matrix und „real world“ gleichermaßen. Entscheidend ist, dass er sich dafür erneut verwandelt – diesmal jedoch nicht mehr in einen Spiegel, sondern in ein Computerprogramm. Wenn man nun bedenkt, dass gerade das Programm die Grenze von „real world“ und Matrix ist, dann ist mit dieser Szene die Rekursion der Spiegeldifferenz vollständig. Neo überschreitet eine Grenze (Verlassen der Immanenz, der Virtualität3), indem er zu einer untergeordneten Grenze (zwischen Matrix und „real world“, also zwischen Virtualität2 und Realität2) wird.

Der Film zeigt nicht mehr, dass Neo in der Transzendenz ankommt (und wie sollte er das auch zeigen). Das Ende der Matrix-Trilogie legt mit Versatzstücken christlicher Semiotik aber nahe, wie Neos Tod zu begreifen ist: analog zur Passion Jesu. So sieht der Zuschauer eine Kameraeinstellung vom sterbenden Neo mit ausgebreiteten Armen, die an Jesus am Kreuz erinnert. Gleichzeitig ist auf seiner Brust ein Lichtkreuz zu erkennen (Abb. 10). Ein junger Mann ruft „He saved us! He saved us!“ und drückt damit aus, dass Neo nun seine Funktion als Erlöser (saviour) erfüllt hat.

Abb. 10: Neos „Passion“.

Konnte der Zuschauer im ersten Teil mit Neo die Matrix verlassen und ihm in die „real world“ folgen, bleibt er nun in der Immanenz zurück. Genau diese beiden Ereignisse grenzen das Thema von Matrix ein: Die Trilogie beginnt mit dem Verlassen der Spiegelwelt und endet mit dem Verlassen der Immanenz. Das Jenseits des Diesseits ist auch das Jenseits des Films.



Verfasserin: Christian Kirchmeier, veröffentlicht am 24.07.2007

 

Sämtliche Beiträge dürfen ohne Einwilligung der Autoren ausschließlich zu privaten Zwecken genutzt werden. Alle Rechte vorbehalten.
© Medienobservationen 2007.