Klaus Birnstiel Schwule Cowboys vor Postkartenlandschaft oder: Abstract: Ang Lees Cowboy-Film "Brokeback Mountain" war der Favorit der Oscar-Saison 2006. Zwar gewann schließlich das Sozial-Drama "L.A. Crash" die meisten Preise, aber drei Oscars, den Goldenen Löwen von Venedig und ein paar Golden Globes hat der Streifen schließlich doch abräumen können; Kritiker lieben ihn, das Publikum streitet und äußert sich ebenfalls überwiegend positiv. Wieder einmal hat das große, massenkompatible Kino seine Innovationskraft bewiesen: Schwule Cowboys vor Postkartenlandschaft, das gab es bisher nicht. Ang Lee erzählt den ur-amerikanischen Mythos vom Cowboy neu und beweist damit, wie sich längst totgeglaubte, fest im kulturellen Gedächtnis verankerte narrative Systeme erfolgreich reanimieren lassen.
Machohafte Männlichkeit, wie sie der Cowboy symbolhaft verkörpert, ist längst zur leeren Hülle verkommen und selbst im Kino nicht mehr allzu beliebt, denn dem Metrosexuellen, so wird uns allenthalben weisgemacht, gehört die Zukunft. Selbst der Marlboro-Cowboy reitet nicht mehr einsam über die Prärie, sondern raunte schon vor Jahren in einem amerikanischen Anti-Tabak-Spot mit rauher Stimme seinem Kollegen zu: Bob, ich hab Lungenkrebs. Es ist also nicht mehr viel übrig vom stoppelbärtigen Cowboy, dieser männlichen Ikone von Mut, Kraft, Tapferkeit und Geradlinigkeit. Doch "Brokeback Mountain" gibt dem Mythos nicht den Gnadenschuß, wie es vielleicht zunächst erscheint, nein, er dekonstruiert ihn und verhilft ihm verblüffenderweise genau damit zu neuem Leben.
"Brokeback Mountain" hat in den USA für viel Furore gesorgt. Die Eiferer der christlichen Rechten sind offenbar noch immer blind genug, aus einem solchen Film einen Skandal zu machen und eine öffentliche Hysterie zu erzeugen, die zu jenem irritierten Achselzucken führt, mit dem sich liberal gebende Nicht-Amerikaner reagieren, wenn sie davon hören. Doch in der Ökonomie der Aufmerksamkeit ist der Skandal allemal das beste Mittel, Interesse zu wecken und Debatten auszulösen, und so dürfte er den Machern sicher nicht ungelegen gekommen sein. Selbst Präsident Bush hat sich dahingehend geäußert, er werde sich den Film "eher nicht" ansehen. Darf man das, fragte sich die amerikanische Öffentlichkeit, solch einen zentralen Mythos der nationalen Identität derart kompromißlos umdrehen? Unsere Cowboys, unsere Jungs, plötzlich schwul? Ang Lee hat sich die Freiheit dazu genommen, und das Ergebnis ist beeindruckend.
Was wir zu sehen bekommen, ist ein klar und umstandslos erzähltes Liebesdrama. Jack (Jake Gyllenhaal) und Ennis (Heath Ledger) sind Cowboys, also Landarbeiter, die sich für einen kärglichen Lohn bei tyrannischen, profitgierigen Großfarmern verdingen müssen. Im Sommer 1963 schickt der Farmer Joe Aguirre (Randy Quaid) die beiden auf den Brokeback Mountain irgendwo in Wyoming, um auf seine Schafe aufzupassen. Jack und Ennis kommen sich schnell näher in der Einsamkeit der Berge, es wird ein Sommer der Liebe von Mann zu Mann. Doch bereits im August fällt der erste Schnee, Aguirre läßt die Schafe ins Tal treiben und schickt seine Arbeiter nachhause. Männliche Zeichen. Der Film bewegt sich so selbstverständlich im Zeichensystem einer maskulin-heterosexuellen Welt, daß die Provokation nicht zu übersehen ist und doch gleichzeitig völlig hinter dem Erzählten verschwindet. Die Szenerie von kerniger Landschaft und rauhbeinigen Kerlen verläßt der Film nur für kurze Ausflüge in die Vorstadthölle, in der Jack nach seiner Heirat landet. Ansonsten aber reitet Jack Rodeo und tritt damit bei ländlichen Festen auf, bei denen abends Männer mit großen Hüten mit Damen in Karoblusen tanzen gehen zu den Klängen einer Musik, die sich nicht anders bezeichnen läßt als Country & Western. Überhaupt der Soundtrack: ein repräsentativerer Querschnitt durch das Genre der amerikanischen Singer/Songwriter mit Nahbezügen zum Folk und zur Country-Musik läßt sich kaum vorstellen. Willie Nelson ist dabei, Steve Earle und Emmylou Harris, allesamt Ikonen einer erwachsen gewordenen Form von Folk, der längst über den engstirnigen und rassistischen Redneck-Horizont hinaus ist. Auch die Musik entspringt also aus heartland America, jenem erträumten Arkadien zwischen Farmhaus und weitem Land, das den amerikanischen Traum beflügelt. "Brokeback Mountain" zeigt aber auch die Armut, das erbärmliche Leben noch in den sechziger Jahren, in der tiefsten Provinz, am Ende der Welt. Doch tragen Jack und Ennis ihre Cowboyhüte, karierten Holzfällerhemden und Lederstiefel darin mit einer provozierenden Selbstverständlichkeit. Die sind doch schwul! Geht das überhaupt? Auch: Schwulenhaß. "Brokeback Mountain" tut nicht so, als gebe es keine Homophobie, keinen Schwulenhaß dicker, weißer Männer. Ennis erinnert sich an eine Episode aus seiner Jugend, als sein Vater ihn zwang, die Leiche eines zu Tode geschundenen Farmers zu betrachten; der Mob hatte ihn gelyncht, weil er mit einem anderen Mann auf einer Farm zusammenlebte. Als er die Nachricht vom angeblichen Unfalltod Jacks erfährt, sieht er vor seinem inneren Auge, wie Jack zu Tode geprügelt wird; der Film entscheidet nicht, wie Jack gestorben ist, ob wir an den Unfalltod oder den Lynchmord glauben sollen, und sorgt damit für nachhaltige Verstörung. Jeans-tragende Männlichkeit. "Brokeback Moutain" besetzt das Cowboy-Motiv völlig neu; genau diese umfassende Neudeutung macht die Genialität des Films aus. Doch liegt umgekehrt auch eine Gefahr in den Bildern unangefochtener, schwitzender Maskulinität, die im schwulen Zusammenhang neu kontextualisiert werden: Jack und Ennis, das wird immer wieder klargemacht, sind echte Männer, harte Burschen, die Pferde reiten und Holz hacken, zunächst sehr wenig sprechen und lieber ein Bier trinken gehen als sich um ihre Frauen und Kinder zu kümmern. Ein wenig bang kann einem durchaus werden angesichts so viel Jeans-tragender Männlichkeit, die der Film seinen Zuschauern um die Ohren schlägt. Muß das sein? Ja, wahrscheinlich muß das sein, um unmißverständlich klarzumachen, daß schwule Männer immer noch Männer sind und keine Tunten. Cowboys Wiederbelebung. Gelungen. Brokeback Mountain zeigt exemplarisch, wie kulturelle Mythen in der Postmoderne neu verhandelt werden. Ein klassischer Cowboy-Film, in dem der gute Cowboy die Schurken oder die verschlagenen Indianer von der Ranch vertreibt und sich anschließend im Saloon schweigend einen Whiskey gönnt, läßt sich einfach nicht mehr drehen heutzutage, als Auswege bieten sich nur Klamaukfilme nach Art des "Schuh des Manitu" an oder eben komplexe Neuvermessungen dessen, was zum scheinbar eindeutigen Zeichen geronnen ist. Die ganze Welt der Cowboys, von Lagerfeuer und Wildnis, wird hier grandios vorgeführt, vor allem im ersten Drittel schwelgt der Film geradezu in den großflächigen Panoramen überwältigender Landschaften und erzählt dabei eine Geschichte, die bisher überhaupt nicht in diese Erzählkonvention passen dürfen sollte. Cowboys hatten nicht schwul zu sein, sie waren Gerechte und Rächer, und wenn sie Beziehungen hatten, dann nur zu Frauen, die zu ihnen aufsahen und allenfalls nach dem Prinzip von harter Schale und weichem Kern Zugang zu ihnen fanden. |
Verfasser: Klaus Birnstiel, veröffentlicht am 18.04.2006 |
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