Oliver Jahraus
Die Prinzessin, der Tod und die
Medien
Abstract: Die Medienereignisse im
unmittelbaren Anschluß an den Tod und das Begräbnis der britischen
Prinzessin Diana werden benutzt, um daran zwar spontan formulierte,
aber medientheoretisch relevante Beobachtungen anzuschließen.
Auch wenn es sich insgesamt um das größte Medienereignis
der Geschichte handelt, so gilt der Blick doch dem, was für Medienereignisse
prinzipiell exemplarisch ist, nämlich die Erzeugung einer Medienwirklichkeit
mitsamt ihren Rezeptionsbedingungen.
Zwischen Sonntag, den 31. August 1997, und Samstag, den
6. September 1997, entspannte sich ein Medienereignis aus einem doppelten
Ereigniskomplex zwischen den Metropolen Paris und London, das in seinen
Dimensionen so noch nie stattgefunden hatte und das so auch vorher nicht
zu erahnen gewesen war. Am Sonntag (31.8.) verunglückte Prinzessin Diana,
am Samstag (6.9.) darauf wurde sie begraben. Eine Woche lang lieferten
die Medien (und hier meine ich die Massenmedien in einem ganz unterminologischen
Sinne, aber dafür in jedweder Ausprägung: Fernsehen, Hörfunk,
Zeitungen und Zeitschriften, insbesondere die sog. Boulevard-Presse)
Bilder und Filme und Texte und Nachrichten und Kommentare und versuchten
dabei, immer aktueller zu sein und das Aktuelle mit dem bekannt und
unbekannt Archivierten zu vermischen. Sie lieferten und lieferten in
einer ununterbrochenen Folge, tatsächlich rund um den Weltball,
rund um die Uhr, so daß daraus ein eigenartiger Eindruck von Simultaneität
und Authentizität und Präsenz entstand. Ein Autounfall mit
(mehrfacher) Todesfolge und ein Begräbnis - aber das war es nicht,
es war das Medienereignis selbst, das aus sich das machte, was es ist:
das bislang größte Ereignis in der Mediengeschichte, jener
eigentlichen Form von Welt- oder gar Menschheitsgeschichte. Dabei geht
es den Medien nicht um eine Person, nicht um Diana, es geht um die Medien
selbst, aber doch in einer Art und Weise, als ob es doch um Diana gehen
würde. Und deswegen ist es nahezu unmöglich, sich den Bildern und
Filmen und Texten und Nachrichten und Kommentaren usw. entziehen. Durch
den Fokus auf Diana treten die Initiatoren des Medienereignisses in
den Hintergrund und erscheinen als Katalysatoren.
Die medienvermittelte Trauer war erst der Schlußakt
in dieser Wochenspanne. Zunächst konfigurierte und inszenierte
sich das Medienereignis als nahezu kriminalistisches Rätselspiel,
das dadurch am Laufen gehalten haben, daß jeden Tag ein neues
Mosaiksteinchen an die Weltöffentlichkeit gegeben wurde, das die
bereits vorhandenen Steinchen keineswegs komplettierte, sondern im Gegenteil
immer unzusammenhängender erscheinen ließ.
Das Begräbnis selbst bildete den Höhepunkt.
Es hat eine bislang in Intensität und Extensität ungeahnte
Medienpräsenz erfahren. Es gab eigentlich nichts zu sehen, aber
die Bilder haben alles gezeigt: die Menschenmassen, die in London zu
ihrer Begräbnisfeier gekommen waren, die weinenden Menschen, die
englische Königin, die ihr Haupt vor ihrer ehemaligen und - wie
man gleich dazu informiert wird - einst ungeliebten Schwiegertochter
verneigt, die Halbmastflagge auf dem Buckingham-Palast mit ihrem - wie
man gleich dazu informiert wird - ungeheuren symbolischen Wert, den
Weg des Leichenwagens, auf 130 Kilometern nahezu ununterbrochen von
Trauernden (jedenfalls wurden sie als solche gezeigt) gesäumt,
die Blumenwerfer, die Königin, die von einer Nation, in Trauer
geeint, sprach, und ein Blumenmeer, das genau diese Worte verifizieren
sollte. Und nicht zuletzt, vielleicht mit dem größten emotionalen
Wert, den in einem Bukett steckenden 'Abschiedsbrief' der Söhne,
der Prinzen, adressiert an eine tote Mutter, der Schriftzug mittels
Teleobjektiv deutlich lesbar: Mummy.
Konnte man anders, als beeindruckt, besser noch: erschlagen,
erdrückt sein. Am Samstag konnte man zwischen 7 und 10 Sendern im deutschen
Fernsehkabelnetz wählen, die die Feierlichkeiten über Stunden hinweg
übertrugen. Mit diesen Feierlichkeiten war das Medienereignis zu seinem
Höhepunkt gekommen. Es waren, so heißt es, 200 Kameras installiert,
es soll 6 Millionen Zuschauer - sozusagen live, medientechnisch ausgedrückt
- gegeben haben, es soll - ich schreibe die Zahl aus - zweieinhalb Milliarden
medienfixierte Zuschauer gegeben haben! In der Bundesrepublik Deutschland,
immerhin Republik seit 1919, allein 16 Millionen. Die Zahl der Tränen,
die geweint wurden, die auch gefilmt wurden, sind nicht beziffert worden.
Wären sie gezählt worden, man hätte wohl die eine oder
andere des Beobachters und Verfassers dazuzählen müssen. Wo das
Medienbombardement schließlich einen Affektpegel erreichte, der
die Emotionalisierung unkontrolliert in den Vordergrund rücken konnte,
war das Medieninteresse nicht mehr wissenschaftlich auszuweisen.
Die Präsenz des Medienereignisses war alles andere
als dazu angetan, unmittelbar medientheoretisch ausgewertet zu werden.
Deshalb sind die folgenden Überlegungen durchaus spontan zu nennen,
dennoch zielen sie bei aller Vorläufigkeit auf eine medientheoretische
Beobachtung. Daß die Medientheorie als Medienwissenschaft nicht
zuletzt aufgrund einer noch weitgehend mangelnden Institutionalisierung
auch konzeptionell keine feststehende Methode und keinen feststehenden
intendierten Objektbereich aufweist, soll dabei nicht übersehen werden.
Dennoch oder gerade deswegen will ich doch der Frage nachgehen, inwieweit
das Medienereignis schlechthin von Interesse sein kann und muß
- für eine Medienwissenschaft der Zukunft. Wo, wenn nicht hier, bei
diesem größten Medienereignis, muß Medienwissenschaft,
wie immer auch konzipiert, sich zeigen?
1. Beobachtung: Autopoiesis der
Medien
Autopoietische Systeme sind Systeme, die sich aus
den Elementen, aus denen sie bestehen, selbst reproduzieren. Seit die
ersten Nachrichten vom Tode Dianas medienvermittelt wurden, wurde über
eben diese Medienvermittlung 'medienvermittelt'. Man war geneigt, die
Medien in jener in der Tat eigentümlichen Operationsform der Papparrazzi
für schuldig am Tode zu erklären, während man doch genau auf
die Bilder wartete, die sie gemacht haben. In den Medien haben wir gehört,
gesehen oder gelesen, daß eigentlich wir, die Rezipierenden, schuld
sind, am Vorhandensein der Papparrazzi und damit auch am Tode Dianas.
Anläßlich des Todes sind die Medien in den Blickpunkt geraten,
aber natürlich nur in den Blickpunkt eben der Medien selbst. Eine Differenzierung
nach dem Schema "nur diese Medien, nicht jene" muß an dieser Stelle
gar nicht eingeklagt werden. Daß Medien sich immer noch stilistisch
unterscheiden, gestehe ich gerne zu. Meine Beobachtung setzt allerdings
auf einer Ebene an, auf der Tatsachen wie die, daß kein Medium,
keine Organisationsform der Massenmedien darum herumkommen konnte, eben
über diesen Tod zu berichten, überhaupt erst interessant werden. Von
daher spreche ich bewußt von den Medien. Daß in dieser Berichterstattung
oder Medienvermittlung ein autoreflexives Moment eingewoben war, betrachte
ich allerdings nur als ein Oberflächensymptom, das auf eine grundsätzliche
Selbstreferenz der Medien verweist. Im Grunde genommen gehe ich davon
aus, daß der Tod lediglich eine Initialzündung darstellt für einen
autokatalytischen Medienprozeß in den genannten und bekannten
Ausmaßen.
Man hat beispielsweise die Frage aufgeworfen, woher wohl
die extensive wie intensive Form der Anteilnahme für Diana nach ihrem
Tode herrühre, wie es wohl zu erklären sei, daß nicht nur,
wie die Königin sagte, eine Nation in Trauer vereint sei, sondern,
weil Medien eine Weltgesellschaft nicht nur bedienen, sondern überhaupt
erst konstituieren, eine Weltgesellschaft als Mediengesellschaft aufgrund
dieses Anlasses aus dem Nichts heraus sich formiere. Elton John hat
recht: Vor ihrem Tode hat man der Toten diese Ehre nicht erwiesen. Er
hat es eine Schande genannt. Der Vorwurf trifft allerdings nicht; denn
die Anteilnahme, selbst dort, wo sie auf Liebe zurückgeführt wird, hat
sich überhaupt erst nach dem Tode konstituiert, und zwar nicht als Vorgabe
für ein Medienereignis, sondern als Epiphänomen oder besser noch:
als integratives Resultat und Teil eben dieses Medienereignisses. Prägnant
gesagt: An diesem Medienereignis können wir lernen, daß Medienereignisse
sich selbst erzeugen. Eine Medienwissenschaft sollte daher eine Beobachtungsgabe
dafür entwickeln, wie diese Autokonstitution vor sich geht, unter welchen
Bedingungen sie abläuft und unter welchen Voraussetzungen sie einsetzt.
Wir können also festhalten: Alles, was uns in diesen Tagen über
diese Ereignisse medienvermittelt wird, ist gleichzeitig medienbedingt.
War die Initialzündung erst einmal gegeben, hat jedes einzelne Medienereignis
nichts anderes bewirkt, als zu diesem großen Komplex dieses allgewaltigen
Medienereignisses beizutragen.
2. Beobachtung: Ereignis und Medienereignis
Medienwissenschaft fragt nicht nach der Moral der
Vermittlung, sondern nach den (kommunikativen und kognitiven) Bedingungen.
Die Frage lautet: Wenn Medien autopoietisch sich in Medienereignissen
reproduzieren, welche Rolle spielen dann überhaupt noch die Ereignisse,
die die Medienereignisse auslösen, um somit selbst zu Medienereignissen
zu werden? Natürlich: In der Pariser Unterführung ist ein Unfall geschehen.
Wir haben keinen Grund, an der 'Ontologie' dieses Ereignisses zu zweifeln.
Warum auch, wo es doch um dieses Ereignis gar nicht mehr geht. Die französischen
Ermittlungsbehörden werden fieberhaft daran arbeiten, zu rekonstruieren,
wie und warum das geschehen ist, was geschehen ist. Wiederum ist es
die Welt als Mediengesellschaft, die die Pariser Ermittlungsbehörden
auf unsichtbare, aber medienfundierte Weise dazu zwingt, ein Ergebnis
in Form einer Ontologie zu liefern: Was wirklich geschehen ist! War
der Fahrer betrunken? Welchen Anteil müssen sich die Papparrazzi zurechnen
lassen? Und, und, und... Wir warten auf die Ergebnisse, wir warten darauf,
daß sie medienvermittelt werden.
Es geht aber nicht um die Ontologie der Ereignisse, weil im Moment der
Medienvermittlung die Ontologie zur Chimäre, zum Medienprodukt,
Medieneffekt wird. Und das sind die Bedingungen, damit Ereignisse zu
Medienereignissen werden. Ereignisse müssen indeterminiert sein, denn
die Determinierung erfolgt erst durch die Medienvermittlung. Die Medien
legen fest, indem sie vermitteln, was geschehen, was real, was Ontologie
ist. Was dagegen weitgehend medienunabhängig konsensbehaftet ist,
ist als Medienereignis nahezu unbrauchbar. Nur Ereignisse, die hochgradig
interpretationsbedürftig sind, die zu Interpretationen reizen, gerade
weil sie die 'richtige' Interpretation verweigern, können Medienereignisse
werden. Der Tod, für den es keinen und gleichzeitig viele Zeugen gibt,
ist ein ideales Medienereignis.
Wenn dieses Ereignis zudem in einer Ereigniskette steht, die sich durch
eine besondere Tragik, durch eine hohe Unwahrscheinlichkeit und eine
hohe Ereignishaftigkeit auszeichnet, die sich in der Medienvermittlung
wiederum als Geschichten im Sinne von Fundierungskategorien (S.J.Schmidt)
ausgestalten lassen, muß dies als Faktor hoch angesetzt werden.
Das gilt für die Geschichte der Prinzessin insgesamt, ob wir nun Geschichte
biographisch oder historisch oder sonstwie verstehen wollen. Immer ist
auch zu spüren, wie die Fundierungskategorie ins Fiktionale/Imaginäre
hinüberspiegelt: das Märchen, das Drama o.a.m. Und wo die Medien
auf diese Geschichte zugreifen, goutieren oder betrauern wir unsere
eigene medieninitiierte und medienbasierte Interpretation, die vom Traum
in den Alptraum umschlägt und wiederum zurück und umgekehrt. Überhaupt
ist in dieser Geschichte viel vom Traum und Alptraum die Rede. Fest
steht, es sind Interpretationskategorien, und die Medien leiten diese
Interpretation an. Je mehr wir allerdings interpretieren, desto weiter
entfernen wir uns eigentlich von der Realität, die wir interpretieren,
desto mehr machen wir die Realität(sinterpretation) zu einer Interpretation(srealität)
(H. Lenk). Je mehr wir also unsere Realität als Interpretationsrealität,
also qua Interpretation konstituieren, desto stärker wird der Anschein
der Interpretation invisibilisiert. Um mit Wittgenstein zu sprechen:
Ereignisse, Wirklichkeit und ihre Ontologie, das ist der Käfer
in der Schachtel, durch den man kürzen kann (Philosophische Untersuchungen,
§ 293).
Die Bedingungen für Medienereignisse lassen sich so vielleicht unter
einer zweifachen Perspektive zusammenfassen. Medienereignisse deontologisieren
Ereignisse, deshalb greifen sie auf konsensuelle in- oder unterdeterminierte
Ereignisse zurück. Sie greifen aber so darauf zurück, als ob es gerade
um eben diese Ereignisse ginge. Medien deontologisieren ihre Ereignisse
als Medienereignisse so, als ob es gerade um die Ontologie ginge. Anders
gesagt: Sie deontologisieren Ereignisse, um Medienereignisse als solche
(!) zu ontologisieren. Damit erzeugen sie gerade erst die Wirklichkeit,
und zwar - wie anders auch?! - als Medienwirklichkeit. Was immer passiert
ist, es wird uns als Medienwirklichkeit vermittelt, geradezu wortwörtlich
verkauft. Und wir kaufen - bereitwillig, weil wir keine andere Möglichkeit
haben - Wirklichkeit als Medienwirklichkeit. Medienwirklichkeit wird
so erzeugt, als ob sie die wahre - ontologische - Wirklichkeit wäre,
und zwar so, daß uns dabei dieses "als ob" seinerseits aus dem
medienbasierten Blick gerät. Denkt man dieses Wechselverhältnis
konsequent zu Ende, kann man, fast schon mit Baudrillard zu dem Schluß
kommen, daß die wahre Wirklichkeit die medienvermittelte Wirklichkeit
ist. Wirklichkeit ist ein Epiphänomen der Medienwirklichkeit, aber
so, als ob sie dieser vorausginge. Wirklichkeit kommt so also immer
nach den Medien. Und wenn wir uns die Einschätzung der 'wirklichen'
Diana vergegenwärtigen, so sehen wir gerade an ihrer Glorifizierung,
ihrer Ikonifizierung, ihrer (medialen) Heiligsprechung, daß die
'wirkliche' Diana erst nach ihrem Tod und somit nach dem Medienereignis
zutage getreten ist: eine medienfundierte Epiphanie und Resurection.
- So wird dieses Wechselverhältnis zwischen Ontologisierung und
Deontologisierung - die visuelle Metaphorik zieht sich durch, wie man
sieht - das Hauptaugenmerk einer Medienwissenschaft sein! In jedem Fall
aber wird man zu einer komplexeren Beobachtung des Phänomens der
Vermittlung kommen müssen, denn vermittelt wird, indem überhaupt erst
konstituiert wird. Aber es wird so konstituiert, als ob es vermittelt
würde.
3. Medien koppeln Bewußtseine
Wenn wir uns all das vergegenwärtigen, haben
wir dann den Zauber so weit verwissenschaftlicht, daß die Tränen
trocknen? Müssen wir dann nicht mehr weinen. Wir werden weiter weinen!
Aber wir werden wissen, warum wir weinen, und wir werden wissen, warum
wir trotzdem weinen, auch wenn wir wissen, warum wir weinen. Warum weinen
die Menschen über den Tod eines Menschen, den sie bestenfalls medienvermittelt
gekannt haben, mit dem sie nichts zu tun hatten? Von der symbolischen
Funktion ist die Rede, aber das befriedigt mich nicht. Von Hoffnung
und Vorbild und Projektion, von Charisma und Caritas. Das mag alles
sein, aber übersieht die Rolle und Bedeutung der Medien.
Es sind nachgeschobene Erklärungsversuche. Der einzige Grund, warum
wir in diesem Fall weinen, so meine ich, ist der, daß andere weinen.
Wie wird uns aber das Weinen der anderen so präsent, daß
wir dadurch selbst weinen? Durch die Medien. Etwas vorläufig gesprochen:
Medien verbinden uns und werden damit der Etymologie ihrer eigenen Benennung
gerecht. Die oben erwähnte Welt- als Mediengesellschaft - die Weltmediengesellschaft
- ist ein Effekt und ein Resultat der Medien. Diese Verbindung läuft
über eine Kopplung, die nicht mit der Verbindung selbst verwechselt
und überlagert werden darf. Ansätze einer systemtheoretischen Medientheorie
haben erste Impulse für eine solche Rekonzeptualisierung des Medienbegriffs
geliefert. Medien koppeln psychisches und soziales System, somit Bewußtsein
und Kommunikation, somit die Kognitionsprozesse mit sozialen Prozessen,
somit auch die freien Kapazitäten des Bewußtseins mit den
Anforderungen, wie sie aus der Notwendigkeit, sich sozial zu instituieren
und zu orientieren, herrühren. Medien koppeln Bewußtsein und Kommunikation
und machen somit Bewußtsein als ein operativ geschlossenes System
seinerseits kopplungsfähig für andere Bewußtseine. In dieser
medialen Kopplung sehe ich das wichtigste, wenn nicht das einzige Interpersonalitätsargument
gegen den Solipsismus einer operativen und absoluten Systemschließung.
Nicht daß Bewußtsein seine Systemgrenzen überschreiten und
verschmelzen würde; aber das Bewußtsein, über Medien an Kommunikation
gekoppelt, kann sich als eines unter vielen anderen konstituieren und
diese Spezifität für seine Selbstproduktion, für sein weiteres
Prozessieren nutzen.
Wenn wir das in Anschlag bringen, verbunden mit dem vorher Gesagten,
so ließe sich zeigen, daß diese medienbasierte Kopplung
kaum unterschätzbare Folgen zeitigt. Jede Wirklichkeitskonstitution,
wie sie aus dem Prozessieren dieser Systemtypen resultiert, ist also
ausschließlich als Kopplungseffekt zu konzeptualisieren. Wenn
Kommunikation mediengestützt so mit Bewußtsein gekoppelt wird,
daß Bewußtsein seinerseits kopplungsfähig wird, dann
können Medien Bewußtsein so kommunikativ absorbieren, als
ob diese Medienvermittlung Produkt eines unmittelbaren (!) Prozessierens
des Bewußtseins wäre. Auch hier erscheint dann das Vermittelte
als nicht vermittelt, sondern als 'real', 'echt', 'authentisch', wie
immer man es charakterisieren mag. Dadurch entsteht - paradox, wie es
klingt - medienvermittelt Unmittelbarkeit. Man ist dabei, auch wenn
man räumlich auf der anderen Seite des Erdballs die Bilder und
Töne empfängt. Die 6 Millionen in London werden damit nur
zu einer kleinen Vorhut jener zweieinhalb Milliarden, die hinter den
Vermittlungsgeräten eigentlich präsent sind. Die 6 Millionen
sind die Staffage der medialen Bilderfänger, die es den zweieinhalb
Milliarden erlauben, präsent zu sein wie sie, und weil medienvermittelt
präsent, vielleicht noch stärker präsent als jene, die
da waren. Und sagt jemand, am Fernseher sehe ich besser, was vor sich
geht, als auf den Straßen (Londons), dann drückt er damit lediglich
eine banale Spielart, ein Oberflächeneffekt eben dieser medienvermittelten
Unmittelbarkeit aus.
Aber reden wir nicht nur von der räumlichen Präsenz, die sich
erst einstellt, wenn wir auf medienvermittelte Distanz gehen, reden
wir durchaus von den Tränen. Die Kopplung von Bewußtseinen
kann Affektpotentiale ungeahnten Ausmaßes wecken. Rechnen wir
wirkliche Extremsituationen ab, so sind wir nirgends so traurig, gerührt,
berührt (im besten Sinn des Wortes) als bei der Rezeption von entsprechenden
Medienangeboten. Warum weinen wir? Das Weinen besitzt eine funktionale
Tradition unter dem Stichwort der Katharsis, die wir als ebenso alt
erachten, wie die Geschichte der entsprechenden Medienangebote selbst
ist, gleichgültig, ob wir sie noch Kult oder schon Theater nennen, also
die bereits zitierte Medien- und Menschheitsgeschichte. Und wenn wir
in diesen Rezeptionssituationen uns selbst sagen: "Es ist doch nur ein
Film!", so müßten wir eigentlich über diesen hilflosen Versuch
lachen und antworten: "Ja, gerade deswegen weinen wir; denn jeder Film
ist realer als das, was wir Realität zu nennen uns angewöhnt
haben." Darüber hinaus meine ich auch, daß die eher negativ bewerteten
Affektpotentiale ein größeres medienspezifisches Aktualisierungspotential
enthalten als die positiven (wie z.B. Glück, Freude oder ähnliches),
weil sie ein höheres Maß an Affizierung, also an Emotionalisierung
(z.B. mittels Trauer) erlauben. Diese Affizierungspotentiale werden
überhaupt erst handhabbar mittels Präsenz. Deswegen sucht man Präsenz,
z.B. im Gottesdienst oder beim Konzert oder auch beim Fußballspiel.
Aber wie ich behauptet habe, die präsentischere Präsenz ist
die medienvermittelte Präsenz.
Medienvermittelte Präsenz ist selbst handhabbar, und deswegen machen
Medien Affizierungspotentiale auf exzeptionelle Weise aktualisierbar.
Damit schlägt die Kopplung der Bewußtseine, der psychischen
Systeme, wiederum durch auf die Körper, die organischen Systeme,
die damit zu Monitoren der Kopplung werden. Und die Tränen sprechen
eine beredte Sprache. In Bildern fixiert und medienvermittelt, lassen
sich nun die Tränen wiederum für weitere Kopplungen instrumentalisieren,
die weitere Affektpotentiale aktualisieren: Der Funktionskreislauf ist
geschlossen! Die Tränen bekräftigen die Präsenz. Wer
geweint hat, war dabei, authentischer als jeder, der in London war,
aber nicht geweint hat. Das Mummy-Kuvert ist das beste Beispiel: Es
ist so medieninszeniert, daß Menschen medienvermittelt so weinen,
daß andere Mediennutzer gleichermaßen medienvermittelt weinen.
Eine Medienwissenschaft muß auf die Potentiale achten, deren Aktualisierung
Medien erlauben.
4. Exemplarischer und paradigmatischer
Charakter
Natürlich, mit den Tränen habe ich übertrieben.
Ich habe überhaupt nur übertrieben bei meiner medientheoretischen Charakterisierung
des Medienereignisses von Dianas Tod. Aber eigentlich habe nicht ich
übertrieben, dieses Medienereignis hat selbst übertrieben mit der Extensität
und Intensität seiner Umsetzung. Warum soll die Medienwissenschaft
sich dem Medienereignis von Dianas Tod zuwenden? Es können doch
nicht die Dimensionen sein, die Singularität, das Exzeptionelle
des Ereignisses allein?! Nein, es ist der paradigmatische und exemplarische
Charakter dieses Ereignisses. Alles, was im Kontext dieses Medienereignisses
medientheoretisch relevant stattgefunden hat, findet nicht nur im Rahmen
eines solchen Ereignisses statt, sondern immer, tagtäglich, in
jeder einzelnen Sekunde, bei jedem noch so unwichtigen Medienereignis,
bei jedem noch so singulären Medienangebot, bei jeder noch so abgelegenen
Mediennutzung! Gegenüber dem Standard der alltäglichen Mediennutzung
mag dieses Medienereignis in der Tat außerordentlich und verzerrt
erscheinen, ins Groteske, ins Gigantische, vielleicht in Kitschige übersteigert,
aber nichts ist verfälscht, was die Konstitution einer Medienwirklichkeit
angeht. Und je gigantischer uns dieses Medienereignis anmutet, um so
kleiner wird es für unsere Beobachtungsinstrumente, weil die Größe
die Komplexität der Vielzahl auf einige wenige Grundmuster reduziert.
Es sind nicht unzählige Medienereignisse, es ist ein Medienereignis;
kurzzeitig ist eine unüberschaubare Diversität suspendiert. Dadurch
erscheint am Einzelfall alles wie unter einem ebenso gigantischen Vergrößerungsglas.
Oder anders gesagt: Das größte Medienereignis ist selbst
ein (medientheoretisch relevantes) Vergrößerungsglas, das
einem nicht alle Tage geboten wird. Wir kommen nicht darum herum, also
partizipieren wir! Eine Medienwissenschaft muß solche Medienereignisse
empirisch nutzen, um somit auch zu einer feineren Konzeptionalisierung
zu kommen, die ihrerseits wiederum die wissenschaftliche Grundlage bereitzustellen
hat, Medienereignisse (egal in welcher Größe) empirisch zu
nutzen.
Diese Beobachtungen sind subjektiver und insbesondere
spontaner Natur, auch wenn sie versuchen, bereits eine Metaebene einzunehmen
und eigene (Medienbeobachtungen) zu beobachten, sie sind essayistischer
Natur, auch wenn sie über eine (zukünftige) Medienwissenschaft sprechen,
sie sind - so hoffe ich - provokanter Natur, auch wenn beabsichtigt
ist, weitergehende Reflexionen anzustoßen. Es gilt, solche Ereignisse
zu nutzen, um Prinzipien für eine Medienwissenschaft als Beobachtung
höherer Ordnung zu gewinnen.
Epilog
Dieser Text wurde in seiner Urfassung am 7.September,
einen Tag nach den Begräbnisübertragungen, geschrieben. Die spürbare
Diskrepanz zwischen Spontaneität und Distanz wollte ich nachträglich
nicht eliminieren; es hätte für die angestellten Beobachtungen
in diesem Rahmen wenig gebracht, aber den ursprünglichen - seinerseits
medienbedingten - Impuls verdeckt. Dennoch muß eine Beobachtung
unbedingt nachgetragen werden: die Geschwindigkeit, mit der das 'Diana'-Medienereignis
auch wieder abgeebbt ist. Und auch das müßte sich an die vorangegangenen
Beobachtungen anschließen lassen. Die abschließende Vermutung
lautet: Solche Medienereignisse können sich nur konstituieren,
wenn dem eine prozessuale Basis zugrunde liegt, auf der Medienereignisse
sich nur deswegen konstituieren, weil andere in einem Dauerprozeß
wieder verschwinden. So gesehen, müssen Medien 'endogen hektisch' sein
(S.J. Schmidt). Aktuelles gibt es nur vor dem Hintergrund des Überholten,
Aufmerksamkeit nur vor dem Hintergrund des Vergessens. Was aus dem Fokus
fällt, zu dem können wir beruhigt sagen: Ruhe in Frieden!
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