Fremdenfeindlichkeit / Fremdenfreundlickeit


Bernd Scheffer


Medien und Fremdenfeindlichkeit: Eher Gefühlsprobleme als Vernunftprobleme.
Schlägt die Fremdenfreundlichkeit die Feindlichkeit am besten mit deren eigenen Mitteln?


Der vorliegende Aufsatz zweifelt daran, dass die üblichen Empfehlungen, wie mit dem Problem „Medien und Fremdenfeindlichkeit“ umzugehen sei, allein schon ausreichen. Diese üblichen, allemal wohlgemeinten, durchaus ehrenvollen Vorschläge, die pädagogischen und didaktischen Empfehlungen, die vor allem von Wissenschaftlern und zum Teil auch von Medienpraktikern stammen, berücksichtigen die tatsächliche, durchaus unbequeme emotionale Problemlage einer Gesellschaft und ihrer Medien nicht gründlich genug. Man hält „Medien und Fremdenfeindlichkeit“ für ein Vernunftproblem bzw. für ein Unvernunftproblem und versucht ihm folglich fast ausschließlich mit Aufklärung und Belehrung und der Erwartung auf Einsicht der Unvernünftigen beizukommen. Grundsätzlich spricht zwar nichts gegen solche Lösungsversuche, aber sie stellen eine höchst unvollständige Problembearbeitung dar. Verkannt wird, dass es vor allem um Gefühlsprobleme der Gesellschaft und die emotionale Dynamik der Medien geht und dass der Fremdenfeindlichkeit oft nur noch mit durchaus bedenklichen Gegen-Emotionen beizukommen ist.

Alle beobachten in Konflikten die dort dominierenden Gefühle, an denen jede Vernunft zerschellt, aber kaum einer akzeptiert diese Gefühle als Startsituation von Erklärungen und Lösungsversuchen. Und so ist es immer noch einigermaßen überraschend, dass es eigentlich nur in der Psychologie, nicht aber in der Soziologie, der Politikwissenschaft oder der Publizistik eine Emotionstheorie gibt. In allen Lebensbereichen würde gelten (und wer hat diese Vermutung nicht schon gelegentlich einmal gehabt ?): „Like and dislike command, reason explains!“ (H. R. Maturana)

Man entdeckt in solcher Perspektive, dass Äußerungen, die gegen Fremdenfeindlichkeit wirken sollen, oft ebenfalls stark emotional besetzt und ähnlich unreflektiert sind wie die fremdenfeindlichen Äußerungen. Es zeichnet sich ab (so zynisch das auf den ersten Blick erscheinen mag), dass eine fremdenfreundliche Medienpraxis offenbar dann besonders effektiv erscheint, wenn sie sich in Teilen ähnlicher Mittel bedient wie die feindliche Praxis: Übertreibung, Sensationierung, Emotionalisierung. Fremdenfreundlichkeit setzt der Fremdenfeindlichkeit offenbar dann etwas wirksam entgegen, wenn sie die Feindlichkeit mit ihren eigenen Mitteln schlägt. Die Medienpraxis zeigt, dass emotional aufgewertete Unterscheidungen sowohl den Anforderungen des jeweiligen Mediums eher gerecht werden und daher auch häufiger sind, als auch ihre beabsichtigte Wirkung eher erreichen. Anders gesagt: Die vorwiegend auf Rationalität hoffenden Empfehlungen von Wissenschaftlern oder auch von Rundfunkräten könnten sich leicht als blauäugig erweisen, wenn sich abzeichnet (und das legen die Beispiele am Schluss des vorliegenden Beitrags nahe), dass in ihnen die u. U. wirksameren Empfehlungen stecken.

Viele Autorinnen und Autoren haben in zahlreichen Veröffentlichungen gezeigt (u. a. auch der Verfasser)1, dass nicht nur die rechtsradikale Presse und die Boulevardzeitungen fremdenfeindlich sind, sondern auch die renommiertesten Zeitungen und Zeitschriften der Republik, etwa der „Spiegel“. Warum aber ist unsere berechtigte Kritik bei den zuständigen Redakteuren über Jahre und Jahrzehnte gänzlich ohne Folgen geblieben? Meine, ins Polemische übertriebene Antwort wäre: Warum sollten denn Redakteure, die ein erfolgreiches Magazin verbreiten wollen, auf die bewährten Mittel der Übertreibung, der Emotionalisierung (bis hin zur feindlichen Polarisierung) verzichten? Selbstverständlich sind andere Mittel als diese Mittel wünschenswert, aber unsere Hoffnung, die Medien würden sich umstandslos nach unseren Erwartungen richten, erscheint mir blauäugig. Wenn wir uns als Wissenschaftler um Einfluss bemühen, dann dürfen wir nicht immer nur Mittel empfehlen, die sich schwer umsetzen lassen.

Zunächst: Wie lauten die üblichen Empfehlungen, im Zuge derer erwartet wird, dass die Fremdenfeindlichkeit der Medien in Grenzen gehalten werden kann? - Ich beziehe mich im Folgenden direkt und indirekt auf Empfehlungen des Deutschen Presserats, des Westdeutschen Rundfunkrats, auch auf das, was Medien-Institute in Großbritannien, in Belgien und in den Niederlanden empfehlen, und ich beziehe mich schließlich auf Empfehlungen der Organisation „Media Watch“ der Heinrich-Böll-Stiftung:


Bei den Berichten über Fremde gäbe es ständig Verallgemeinerungen und Übertreibungen. Dies führe zu Vorurteilen - und sei zu unterlassen durch Differenzierung, durch ausführliche und genaue, auf den Einzelfall bezogene Darstellungen.

Kritisiert wird, wenn in der Berichterstattung über Straftaten die ethnische Zugehörigkeit der Beteiligten überhaupt genannt wird. Empfohlen wird, wenn irgend möglich alle Hinweise auf kulturelle, nationale oder religiöse Zugehörigkeit, unter Umständen sogar die Nennung fremdländischer Namen zu unterlassen.

Kritisiert wird, wenn von der Dritten Welt oder anderen ärmeren Ländern immer nur dann berichtet wird, wenn sich Naturkatastrophen, Kriege und Bürgerkriege ereignen, weil dann der Eindruck entsteht, Menschen in diesen Ländern seien generell nicht fähig, irgendwelche Probleme selbstständig, ohne Hilfe von außen zu lösen. - Die Empfehlungen lautetn, hier seien stattdessen Ursachen aufzuzeigen und Hintergründe darzustellen, etwa die vorausgehende Ausbeutung dieser Länder durch die sog. Erste Welt. Der fremde Blick der Journalisten sei auf jeden Fall dadurch zu ergänzen, dass die tatsächlich Betroffenen ihrerseits ausreichend zu Wort kommen.

Kritisiert wird, dass der Umgang mit Fakten, Zahlen und Statistiken häufig verzerrt, wenn nicht sogar gänzlich falsch ist. - Auch hier werden sorgfältige Recherchen, Differenzierungen und ausführliche Darstellungen empfohlen.

Der Alltag von Ausländern und Ausländerinnen solle ein selbstverständlicher Teil von Artikeln und Programmen werden. Bezeichnungen wie „Asylant“, „Flut“, „Strom“ oder „Chaos“ sollten im Zusammenhang mit Fremden grundsätzlich vermieden werden.

"Es soll darauf hingewiesen werden, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme sehr komplex sind und auch dann nicht gelöst werden, wenn es keine Ausländer/innen in Deutschland mehr gebe; es soll aufgezeigt werden, dass es keine monokausalen Ursachen und damit auch keine monokausalen Lösungen gibt, um die gesellschaftlichen Probleme zu bewältigen (...).“ (Empfehlungen des Rundfunkrats des WDR vom 16. Dezember 1993).

Manche Empfehlungen nähern sich gar der Paradoxie: Zwar dürften fremdenfeindliche Gewalttaten keinesfalls totgeschwiegen werden, aber es sei stets zu beachten, dass die pure Berichterstattung schon zu Nachahmungstaten führen kann.


Solche Empfehlungen sind allemal, mindestens auf einem abstrakten Niveau, gut und richtig, und natürlich hätten wir eine bessere Medienwelt und eine bessere Welt überhaupt, wenn man sie überall umsetzen würdete. Aber wir müssen davon ausgehen, dass wir überall in einer Situation sind, in der das, was die Empfehlungen erwarten, schwerlich umgesetzt werden kann. Medien, welcher Art auch immer, stehen unter vielfältigen Zwängen, und das wird in den liberalen Gesellschaften auch in Zukunft zu so bleiben. Medien müssen mit wenig Aufwand viel erwirtschaften. Die Geschäftsleitungen bauen Personal eher ab als auf. Wie überall gilt auch hier: Immer weniger Leute produzieren in immer kürzerer Zeit immer mehr. Recherchen, Hintergrundberichte und ausführliche Darstellungen brauchen Zeit und Platz und damit auch Geld, das für derlei Maßnahmen am allerwenigsten noch zur Verfügung steht. Auch für die renommierte, überregionale Presse gilt: Sensationierungen, Polarisierungen und Emotionalisierung lassen sich besser verkaufen als nüchterne Hintergrundberichte, die von einem erheblichen Teil der Mediennutzer als störend, als langweilig verstanden werden.

Die alternativen, ergänzenden Empfehlungen, die hier erprobt werden sollen, setzen bei den Gefühlslagen einer Gesellschaft an. S und sie betreffen zunächst zwei gegensätzliche, einander durchaus widersprechende Grundtendenzen: Zum einen die unbestreitbare Abgrenzungstendenz einer Gesellschaft und zum anderen die ebenso zu beobachtende Öffnungstendenz.

Wenn wir über Abgrenzungstendenzen sprechen, kann es selbstverständlich nicht darum gehen, solche Tendenzen zu begrüßen oder gar zu verstärken, aber wir müssen, auch wenn uns das überhaupt nicht gefällt, doch wohl davon ausgehen, dass es diese Tendenzen gibt, dass wir sie zu berücksichtigen haben - aus theoretischen Gründen (1) und aus empirischen Gründen (2).

1. Systeme, welcher Art auch immer, stabilisieren sich nicht so sehr über interne Verknüpfungen, sondern vor allem über Abgrenzungen nach außen, über das, was das jeweilige System von seiner jeweiligen Umwelt unterscheidet. So dürfte sich z. B. äußerst schwer angeben lassen, was eine bestimmte Person, was ein bestimmtes Ich intern ausmacht; klar aber ist: Dieses Ich ist kein anderer. - Was gekennzeichnet die Gruppe der Rheinländer oder die Gruppe der Bayern? Schwer zu sagen, aber leicht zu sagen ist, dass Rheinländer keine Bayern und Bayern keine Rheinländer sind. In Bayern heißt es - systemintern - völlig inhaltsleer, aber theoretisch konsequent: „Mir sam mir!“ Zu Deutsch: „Wir sind wir!“

2. Abgrenzungshandlungen sind empirisch unbestreitbar: Wohin man schaut, auf welches Land, auf welche Zeit, auf welche Volksgruppe, überall entdeckten wir Abgrenzungstendenzen. Nicht nur weil es „Ostfriesenwitze“, „Blondinenwitze“ oder „Mantafahrerwitze“ gibt, es gibt auch ganze nüchterne Abgrenzungstendenzen: Raucher etwa grenzen sich (zum Teil vehement) von Nichtrauchern ab. - Im Intercity-Zug grenzen wir uns von den Jungmanagern ab, die ihre eigene Wichtigkeit in ihre Mobiltelefone brüllen - indem wir das Abteil verlassen. Es heißt, die ungarische Bezeichnungen für „Durchfall“ laute „deutscher Bauch“ und die für die „Kakerlake“ laute „deutsche Fliege“. Wir sprechen, gottlob selten, von der „Englischen Krankheit“ oder von der „Franzosenkrankheit“ - und natürlich ist es abgrenzend und vorurteilshaft, wenn wir auf „amerikanische Essgewohnheiten“ (herab)blicken. - Und vielleicht haben ja auch einige von uns in den Wochen vor dem Zweiten Irakkrieg und während des Krieges mindestens die Vorhöfe anti-amerikanische Gefühle betreten.

Es lässt sich zeigen, dass Abgrenzungs-Praxis und Fremdenfeindlichkeit in keiner Hinsicht ein Verhalten sind, dass allein bei dummen, jugendlich-unreifen, rechtsradikaler Randgruppen der Gesellschaft zu verzeichnen wäre, sondern wir wissen sehr genau, dass dieses Verhalten aus der Mitte unter und der Mehrheit der Gesellschaft kommt. Viele Studien zeigen, dass fremdenfeindliche und diskriminierende Denk- und Handlungsweisen auch bei denen vorkommen, die sich für aufgeklärt und weltoffen halten. Im übrigen ist unsere eigene Fremdenfreundlichkeit meist „kostengünstig“ (also nicht schwer erworben): Zumeist wohnen wir mit den Fremden nicht Wand an Wand; in unseren Ohren tönt nicht ihre für uns ungewohnte Musik; ihre fremden Essensgerüche erreichen nicht unsere Nasen; ihre andere körperliche Ausstrahlung bleibt ein fernes Medienbild, das wir mit ausreichendem Sicherheitsabstand beobachten können.

Das, was der englischen Lady passierte, könnte uns selbst auch passieren: Die ältere Dame findet in einem überbuchten Lufthansa-Flugzeug zunächst keinen Platz und spottet gereizt über „German Efficiency“. Es erscheint geradezu unvermeidlich zu sein, dass man in solchen Stress-Situationen artikuliert, das Ereignis habe damit zu tun, dass man eben mit einer deutschen bzw. italienischen bzw. türkischen oder afrikanischen Fluggesellschaft fliegt.

Nur Solipsisten und Eremiten sind nicht fremdenfeindlich, weil sie sich in höchster Gerechtigkeit gegen alle gleichermaßen abgegrenzt haben. - Selbst die liebsten Gäste, die liebsten Freunde behandelt man anders als die eigenen Familienmitglieder: Einerseits werden die Gäste bevorzugt, und das ist auch gut so, aber sie dürfen im Unterschied zu Familienmitgliedern bestimmte Grenzen auch nicht überschreiten, sie dürfen z. B. nicht einfach in unser Schlafzimmer gehen und sich dort umschauen.


Wie gesagt, nichts an diesen Abgrenzungen finden wir gut und nichts daran müssen wir beschönigen, aber man darf sich auch keine Welt erhoffen, aus der Abgrenzungen gänzlich verschwunden wären. Damit verlöre man letzten Ende jedes Unterscheidungsvermögen, jegliche Fähigkeit, überhaupt etwas zu benennen. Auf der Kölner Tagung „Massenmedien, Migration und Integration 8. 11. 2003“ (auf die dieser Aufsatz zurückgeht) ist sogar die Verwendung von Vokabeln wie „Fremder“ oder „Ausländer“ als diskriminierend beklagt worden. Das mag in einigen Fällen durchaus zutreffend, wenn man aber eine bestimmte Bevölkerungsgruppen überhaupt benennen will (und das dürfte etwa bei Behörden schwer zu vermeiden sein), dann muss man logischerweise unterscheidende Wörter wählen. Wenn man sie aber wählt, dann hat man mit der Unterscheidung auch wieder das Problem, dass diese Unterscheidungen nicht wertfrei bleiben werden. Wenn wir von nun an immer nur freundlich „Migranten“ sagen und wenn sich diese Bezeichnung verbreitet, dann wird sie in einigen Jahren nicht mehr nur freundlich gemeint sein. Anders gesagt: Wir haben es mit logischen und paradoxen Problemen, mit Dilemmata zu tun (und es wäre schon einiges gewonnen, wenn die an der Diskussion Beteiligten endlich von den Grund-Voraussetzungen ausgingen, denen sie ohnehin nicht entkommen können).

Auf allen Ebenen sind Beispiele für Abgrenzungstendenzen zu finden, und Medien, welcher Art auch immer, bedienen diese Abgrenzungsbedürfnisse, und daran wird sich nur schwerlich etwas ändern lassen. Andererseits aber gilt: Wenn auch die Abgrenzungstendenzen nicht völlig aus der Welt zu schaffen sind, so kann man sie doch abschwächen, zivilisieren, kultivieren, umlenken und vor allem auf ihrer faktischen Gewaltlosigkeit beharren. Und man kann diesen Abgrenzungstendenzen auch etwas entgegensetzen: Andere, alternative Gefühlsbotschaften, die, ergänzend zur Abgrenzungstendenz, der Öffnungstendenz dienen. Und hier nehmen die Empfehlungen, die ich erwäge, ihren Ausgang: Die Situation der Farbigen in den USA hat sich wohl weniger durch Prinzipien wie in Kants “Kritik der reinen Vernunft“ oder durch ähnliche Texte, die Rationalität, die Aufklärung feiern, verbessert, sondern durch freilich höchst anfechtbare, kitschig emotinalisierende Medienproduktionen - vom Buch bis zum Film; genannt seien Nur nur „Onkel Toms Hütte“ oder das Musical „Porgy und Bess“.

Wer fremdenfreundlich sein will, wer dies fördern will, muss sich überlegen, wie man die Medien mit ihren eigenen Mitteln schlagen kann. Der Medienmacht Berlusconis in Italien wird man nicht dadurch das Wasser abgraben können, indem man die Mediennutzer nur mit sachlicher und vernünftiger Aufklärung lockt. - Ich greife auf eine Konstellation zurück, die ich den „Klinsmann-Effekt“ nennen würde: In weiten Schichten Großbritanniens hat sich um 1995 das Deutschlandbild drastisch verbessert in einer Art und Weise verbessert, von der etwa britische Deutschlehrer und fünfzigjährige Austauschprogramme nicht einmal zu träumen wagten - durch die kurze und höchst torreiche und medienwirksame Anwesenheit des sympathischen Fußballers Jürgen Klinsmann bei Tottenham Hotspurs. Alle Maßnahmen deutsch-britischer Freundschaft scheinen dagegen zu verblassen. Dann aber lief alles wieder erheblich in die Gegenrichtung - ebenso grotesk, ebenso zynisch - als der erfolgreiche und beliebte Star diejenigen wieder im Stich ließ, die ihn doch geliebt haben (obwohl es ihnen doch so schwer fiel, einen „Kraut“ oder „Nazi“ zu lieben). Die Außenminister der beiden Ländern hätten damals den Wechsel zurück nach Deutschland, zu Bayern München allen Ernstes verhindern sollten; konsequenterweise kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“ das Ereignis auch nicht auf der Sportseite, sondern auf der Seite 4 ihrer politischen Kommentare (am 12. Mai 1995). - Am 12.10. des Jahres 2003, als der Deutsche Michael Schumacher sich mit der italienischen Firma Ferrari die Formel-1-Weltmeisterschaft sicherte, ist wohl kein deutsches Auto in Italien zerkratzt worden. Und an diesen Tag hat sich auch kein italienischer Minister abfällig über deutsche Touristen geäußert.

Nun wird man freilich nicht dauernd gezielt Klinsmanns oder Schumachers oder türkische oder afrikanische Sympathieträger in Deutschlands Medien platzieren können, aber als Beobachter solcher Szenarien könnten wir doch wenigstens begreifen (und gegebenenfalls daraus lernen), was läuft und wie es läuft. Halten wir also Ausschau nach Freundschafts-Angeboten, nach Sympathie-Möglichkeiten, ja nach Liebes-Botschaften, dann haben wir den Abgrenzungsbestrebungen etwas entgegenzusetzen, dann erzielen wir die ebenfalls möglichen Öffnungen - und man muss sagen, so urnerträglich das klingt, dann erzielen wir auch die Eröffnung Öffnung der Herzen. Dafür gibt es Beispiele, Beispiele des Mitleids, des Erbarmens, der Freundschaft und der Liebe, die freilich wiederum ihre durchaus bedenkliche, allemal irrrationale Seite haben:

Ein Pressefoto zeigt vor einer Kirchentür mit der Aufschrift „Stop! Kirchlicher Schutzraum“ einen etwa sechsjährigen und einen etwa neunjährigen Jungen, die ein Plakat hochhalten, das an den bayerischen Innenminister adressiert ist: „Herr Beckstein, wo ist unser Bruder?“ („Süddeutsche Zeitung“ etwa 1996)

„Die Simsek-Kinder müssen nicht in Haft.“ Zuvor hatte das Landgericht Augsburg festgestellt, „(...) dass eine Haft zur Sicherung der Abschiebung grundsätzlich auch gegen Kinder (drei und vier Jahre alt) möglich ist.“ („Süddeutsche Zeitung“ 29. 9. 1995)

Ein Pressefoto zeigt ein niedliches fünfjähriges Mädchen mit ihren Kuscheltieren im Arm: „Muß die fünfjährige Gönül Koc in die Türkei zurück?“ Sie soll ihren Opa in München verlassen und abgeschoben werden, doch bei wem das Kind leben soll, ist ungewiß.“ („Süddeutsche Zeitung“ 4. 7. 1996)

„Abschiebung in Pampers? Juristisch formale Winkelzüge: Asylbundesamt in Zirndorf lehnt Asylantrag eines zwei Monate alten kurdischen Kindes ab.“ (TAZ 11. 07. 96

Ein Pressefoto zeigt eine achtköpfige Familie: „Damoklesschwert über der Familie Aklan. (...) Über zwanzig Menschen aus Hersbruck und Umgebung sind bereit, für die finanzielle Unterstützung der Familie auf Jahre hinaus zu bürgen.“ („Süddeutsche Zeitung“ 30. 10. 1997)

„Psychoterror (...) wurde die Witwe mit ihren beiden Kindern im Alter von zweieinhalb und sieben Jahren - davon eines geistig behindert - gegen sechs Uhr früh von der Polizei aus dem Bett geholt. Sie habe keine Chance mehr gehabt, irgend etwas mitzunehmen. Deswegen habe der Bekannte Geld und Windeln zum Flughafen gebracht. (...) Auch ein 38-jähriger Bosnier aus Regensburg, der ein Heirats-Aufgebot bestellt hatte, wurde abgeschoben. Begründung die Voraussetzungen für eine Ehe hätten gefehlt.“ („Süddeutsche Zeitung“ 3. 12. 1997)

„Palästinenser und Israelis retten Baby. Gemeinsame Reise aus Gaza organisiert - OP in Großhadern“. („Süddeutsche Zeitung“ 21. 10. 2003)

„Herr Beckstein, siegt Ihr Herz über das Gesetz? Lokilo (14) steht kurz vor dem Quali - Bobette (8) hat heuer Erstkommunion und Wendy (11) hat prima Noten auf der Realschule. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Die drei Mädchen und ihre Eltern sollen abgeschoben werden - in den Kongo, die Heimat ihres Vaters. Und dies, obwohl die Familie schon seit 13 Jahren im Glockenbachviertel lebt. Wie Mitschüler, Lehrer und Pfarrer für sie kämpfen.“ (TZ München 11. 2 2004)

Damit keine Missverständnisse aufkommen: selbstverständlich kann man eine solche fremdenfreundliche Medienpraxis nur mit äußerst gemischten Gedanken und Gefühlen empfehlen: Einerseits dürfte der Erfolg ungleich größer sein als der der sachlichen Belehrungen mit Hintergrundberichten (die in populären Medien ohnehin immer weniger zu finden sind), andererseits ist es freilich zynisch, etwas das Kindchen-Schema hemmungslos zu propagieren oder gegen die „maßlos Bösen“ immer nur die „maßlos Guten“ in die Medienschlachten zu schicken. Selbstverständlich dient es nicht der dauerhaften Integration von Migranten, wenn sie, in gewissermaßen positiver Diskriminierung, immer nur als verletztlich und schutzlos dargestellt werden. Selbstverständlich sind die hier zitierten „Liebesbotschaften“ keine reinen, sauberen Liebesbotschaften, wenn wir gleichzeitig auf der Seite der Medien viel Eigennutz und wiederum eine manipulative Berichterstattung verzeichnen. Und selbstverständlich soll den Medien kein „Persil-Schein“ ausgestellt werden, nur als weil sie ein paar Mal (eher ausnahmsweise) wohlwollend über Ausländer berichtet haben. So soll am Schluss auch eine gewisse Ratlosigkeit des Verfassers nicht verschwiegen werden, aber vielleicht kommt auch damit eine Diskussion über heikle Empfehlungen in Gang.


Fussnote:

(1) Vgl. Scheffer, Bernd (Hg.)(1997): Medien und Fremdenfeindlichkeit. Alltägliche Paradoxien, Dilemmata, Absurditäten und Zynismen. Opladen (Leske + Budrich) (top)



Verfasser: scheffer@lrz.uni-muenchen.de ; Datum der Veröffentlichung: 10.03.2004
   


 
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