Nina Ort

 

Yes, Žižek can!

Avantgarde und Gesellschaftskritik in der Postmoderne

 

Unter dem Begriff Culture Jamming werden bestimmte Formen urbaner, also öffentlicher Kunstaktionen gefasst, die kulturelle Codes umcodieren und subversiv in die urbane Kommunikation wieder einspeisen. Culture Jamming bezeichnet also eine Kunstform, die sich sehr nahe an der politischen Aktion bewegt (und seine Vorgänger tatsächlich im Situationismus, Fluxus, Happening usw. hat). Sinn dieser parasitären, subversiven Kunstformen ist natürlich die Irritation und das Bewusstmachen der Manipulation durch (kommerzielle und politische) Werbung im öffentlichen Raum, indem diese Werbung angeeignet und subvertiert wird. Culture Jamming umfasst eine internationale und international agierende Kunstbewegung, die, um ein Datum zu nennen, seit 1989 von der kanadischen Organisation Adbusters so bezeichnet und gefördert wird.

In diesem Beitrag soll zunächst die Idee des Culture Jamming vorgestellt werden, um spezifische diskursive Strategien aufzuzeigen, die nicht nur in der Aktions-Kunst verfolgt werden, sondern – und das wird im zweiten Teil des Beitrags besprochen – weit darüber hinaus auch in dem kultur- und gesellschaftskritischen Werk des slowenischen Philosophen und Psychoanalytikers Slavoj Žižek. Die Strategie des Culture Jamming kann somit als eine disziplin-übergreifende, typisch postmoderne diskursive Praxis beschrieben werden.1

Die Umcodierung und Verfremdung hat insbesondere auch im Dadaismus eine prominente Tradition, die dort in der Plakatkunst und den Zeitungsinseraten eine große Rolle spielte und die wir noch heute im Gedächtnis haben: Etwa mit Aussprüchen wie „Jedermann sein eigner Fussball“ von John Heartfield oder „Fliegen haben kurze Beine“ von Kurt Schwitters. Dort karikierten solche Verfremdungen politische Parolen, Werbeslogans, oder einfach Sinnsprüche. Typisch postmodern hingegen wirkt der subversive Charakter, den Culture Jamming kennzeichnet. Schwitters bediente sich angeblich des auf der Straße aufgelesenen Abfalls zur Montage seiner Arbeiten, Culture Jamming hingegen bedient sich der großen Symbole aus Politik, Kultur und Wirtschaft, um sie zu dekonstruieren. Den Guerilla-Strategien des Culture Jamming bietet sich natürlich das Internet als optimales Organisations- und Verbreitungsmedium an, in dem die verschiedenen multimedialen Aktionen und Performances dokumentiert werden können.

Dadurch gewinnt Culture Jamming zum Teil interaktive Komponenten wie beispielsweise im dadaistisch verspielt wirkenden Project Moustache, das sich ebenfalls vornehmlich auf öffentlich plakatierte Werbung konzentriert. Wenn wir schon täglich und allgegenwärtig mit Werbeplakaten konfrontiert werden, so lautet deren Botschaft, so erheben wir immerhin den Anspruch, sie mitgestalten zu können – im Project Moustache werden alle erdenklichen Plakatschönheiten oder -berümtheiten mit Schnurrbärten verziert. Um für das Projekt die Öffentlichkeit als Teilnehmer zu gewinnen, wird auf der Homepage des Projekts eine per PDF ladbare Schnurrbartvorlage zum Ausschneiden und Ankleben angeboten. Das erste zentrale Moment des Culture Jamming, das sich in diesem Projekt artikuliert, ist der Anspruch auf das „Mitspracherecht“ bei der Gestaltung des öffentlichen Raums und der Protest gegen die einseitige, massenmedial vermittelte Kommunikation.

Culture Jamming geht aber über die bloße Provokation, über Satire hinaus, denn ihre subversiven Botschaften sind teilweise in hohem Maße kalkuliert und symbolisch.

Culture Jamming findet in ganz unterschiedlichen Aktionen statt: Theatergruppen wie die New York City Surveillance Camera Players inszenieren Stücke (samt auf Plakaten aufgeschriebenen Sprech-Texten) vor öffentlichen Überwachungskameras. Auch hier wird die Diskursherrschaft durchbrochen, Überwachung wird zum Aufzeichnungsmedium von Kunst umfunktioniert. Passenderweise spielen die New York City Surveillance Camera Players unter anderem Szenen aus Orwells 1984 oder Jarrys König Ubu.

Irritierend wirken Aktionen wie die von Aage Langhelle, der DDR-Logos entwickelt und damit „Plakatwerbung“ in der U-Bahnstation in Berlin, Alexanderplatz inszeniert hat. Die Logos sollen „ an bekannte Warenlogos erinnern, ohne dass sie sich deutlich zu erkennen geben. Sie spielen mit Ostalgie und der Wiedererkennung von Marken, die für den Westen standen.“ Auf diese Weise wurden „die Buchstaben ddr in die aktuelle Warenwelt der kommerziellen Logos transportiert“,2 eine Provokation, die kontroverse Deutungen und Debatten anstieß.

Aufrichtige Empörung löste die Aktion Nikeground aus, bei der die Wiener Öffentlichkeit mit dem Plan – es handelte sich natürlich um einen Hoax – von Nike konfrontiert wurde, den Wiener Karlsplatz in „Nikeplatz“ umzutaufen und dort das „Swoosh-Logo“ von Nike als riesige Skulptur zu installieren. Auf dem Karlsplatz wurde hierzu ein gläserner „Info-Container“ errichtet, auf dem der für Passanten unübersehbare Schriftzug „Nikeplatz (formerly Karlsplatz)“ prangte. Angebliche Nike-Mitarbeiter informierten in diesem Container die empörten Wiener über die Pläne von Nike, demnächst weltweit städtische Plätze, Straßen und Parks zu kaufen, um sie entsprechend umzubenennen. Erst nachdem sowohl die Stadt Wien als auch Nike heftig dementierten, mit diesen Plänen etwas zu tun zu haben, gab sich das italienische Künstlerpaar "0100101110101101.ORG" als Urheber dieser hyper-realen Performance zu erkennen.

Eine relativ bekannte Gruppe dürften die Yes Men sein, die Hoaxing betreiben, also massiv Falschmeldungen in Umlauf bringen; sie inszenieren beispielsweise als „Repräsentanten“ großer Industriekonzerne Konferenzen, auf denen sie dann absurde Forderungen oder Ankündigungen verlautbaren – meistens in der Form der „subversiven Affirmation“, das heißt, der Überidentifikation mit den Firmen-Ideologien, die auf diese Weise ad absurdum geführt werden. Als angebliche Sprecher des Dow-Konzerns stellten die Yes Men beispielsweise 2005 auf einer Londoner Banking Konferenz, zu der sie versehentlich eingeladen worden waren, den Acceptable Risk Calculator vor, ein Programm zur Ermittlung für Unternehmensstandorte, an denen die Bevölkerung bereit ist, ein hohes Lebensrisiko in Kauf zu nehmen. Das Computerprogramm stieß bei den Managern auf reges Interesse.

Bei einer anderen Aktion, „Yes, Bush can!“, einer Tour aus dem Jahr 2004, wurde an den Patriotismus potentieller Bush-Wähler appelliert mit der Forderung, nukleare Abfälle im eigenen Garten zu deponieren. Die entsprechende Website ist inzwischen leider nicht mehr erreichbar.

Auf einer Wirtschaftskonferenz in Philadelphia zur wirtschaftlichen Situation Afrikas traten die Yes Men 2006 als Vertreter der WTO auf und stellten vor 150 Vertretern aus Politik und Wirtschaft die Initiative „ full private stewardry of labor “ vor, die in dem Vorschlag bestand, in den Zonen Afrikas, die unter dem Freihandel mit dem Westen am schwersten gelitten hätten, Sklaven einzusetzen. Der Yes Man „Schmidt“, der den Vortrag hielt, beendete ihn mit den Worten: „This is what free trade's all about. It's about the freedom to buy and sell anything – even people.“

Gemeinsam ist diesen ansonsten sehr heterogenen Aktionen des Culture Jamming, dass öffentlich-mediales und alltagsweltlich bekanntes Material verwendet und verfremdet wird, dass also mit genau codierten massenmedialen Botschaften und Symbolen operiert wird, wobei der massenmediale Bekanntheitsgrad dieser Symbole gezielt genutzt wird. Culture Jamming als Kunst erfindet nichts Neues, sondern subvertiert allgegenwärtige und bekannte Botschaften. Die Subversion gelingt dabei umso besser, je vertrauter die ursprüngliche massenmediale Botschaft ist.

Ein Aspekt, der hier hervorgehoben werden soll, ist die Irritation der Aktionen, die durch Strategien wie die der subversiven Affirmation oder der nachahmenden (Ver-)Fälschung ausgelöst werden. Zwar werden hierdurch die ursprünglich intendierten Botschaften dekonstruiert, eindeutige Sinn- oder Deutungsangebote werden jedoch nicht gegeben, was die Irritation noch verstärkt. Die Yes Men sind (wie alle Aktionisten des Culture Jamming) im Grunde in einen geradezu Faustischen Sinne No Men, Culture Jamming ist getragen von einem Geist, der stets verneint.

Genau diese avantgardistische Strategie des Culture Jamming, der Provokation und Irritation, die sich allein vorgefundenen Materials bedient und dieses subvertiert, um ihre Gesellschafts-, Konsum- und Medienkritik zu platzieren, ist deswegen interessant, da sie in dieser Spielart ein genuin postmodernes Phänomen zu sein scheint.

Sie akzeptiert nicht mehr die Machtstrukturen, die sich durch massenmediale, öffentliche Symbolik ausdrückt, sondern sie dringt als aktiver Teilnehmer an der Öffentlichkeit in öffentliche Diskurse ein, die zuvor der Politik, Industrie und Medien vorbehalten waren – dies jedoch auf eine Weise, dass keine Antworten, Gegenmodelle oder Neuordnungen angeboten oder geschaffen werden, sondern belässt es einfach bei der anarchistischen Geste der Verzerrung und Subversion der Ursprungsbotschaft, die parasitär überschrieben wird. Diese subversive Strategie erinnert an jene Slavoj Žižeks, weshalb im folgenden beide miteinander verglichen und einige Analogien aufgezeigt werden sollen.

In seinem Buch, Slavoj Žižek. A Critical Introduction, beschreibt Ian Parker Žižek als einen Theoretiker, der sich einer Mischung verschiedener Theorien bediene, ohne diesen eigene Theoriekonzepte hinzuzufügen. Damit praktiziere er eine Art des Borgens und Entstellens der von ihm kompilierten Theorieoptionen.3 Ähnlich urteilt auch Andrea Roedig in ihrer Rezension zu Žižeks Hauptwerk, Die Tücke des Subjekts, indem sie schreibt: „ Hat der Mann eine eigene Theorie? Man weiß es nicht, aber er hat einen „Schlüssel“, und alles was er anfasst, zeigt sich in genial verwandelter Perspektive.“4 Diese Beurteilung der Arbeitsweise Žižeks ist im vorliegenden Zusammenhang spannend. Denn Žižek geht unter diesem Blickwinkel genauso vor wie die Aktionisten des Culture Jamming. Wie alle Theoretiker steht auch Žižek auf den Schultern von Riesen, aber er baut keine eigene Theorie darauf auf, sondern er subvertiert deren Ideen, variiert sie, rekombiniert und montiert sie – und das ändert alles von Grund auf. Denn er bedient sich parasitär großer Ideen. Žižek, Lacanianer, Philosoph, Kultur- und Gesellschaftskritiker bezeichnet sich selbst als kritischen Beobachter und Theoretiker der Postmoderne. Seine durch die Lacansche Psychoanalyse inspirierte Gesellschaftskritik artikuliert sich ganz wie die des Culture Jamming, indem sie „borgt und entstellt“, verzerrt und verfremdet, vorgefundene Theoriestücke rekombiniert und sie in einer Art der „subversiven Affirmation“ so auf Objekte der Kultur und Alltagswelt appliziert, dass diese, aus den gewohnten Kontexten gerissen, in einem äußerst verstörenden Licht erscheinen. Genau mit dieser Strategie will er vor allem einen Grundzug der Postmoderne aufzeigen: die Verwobenheit des Bereichs des Imaginären mit dem des Realen nach dem „Sturz“ der großen symbolischen Ordnung, die noch der Moderne eine allgemein verbindliche Ordnung verlieh, die aber der Postmoderne abhanden gekommen ist. Unsere vermeintlich gesicherten, aufgeklärten, liberalen Positionen, unsere Imaginationen der Realität werden durch diese subversive Strategie entstellt – und hierdurch ihre abgründige Ambiguität sichtbar gemacht.

Ähnlich wie die Aktionen des Culture Jamming (und eben anders als die spielerischen Provokationen Dadas) erzeugt Žižek durch seine Montagetechnik gezielte Neuaussagen, ohne diese jedoch als letztgültige Antworten auszuweisen: er stellt sie stets dem eigenen Denken und dem seiner Leser zur Disposition. Man könnte sagen, dass er noch die Freudschen und Lacanschen Subversionen subvertiert; unter diesem Verfahren ließen sich möglicherweise seine immer wieder überraschenden Analysen beschreiben, in denen er beispielsweise in auf den ersten Blick irritierenden und skandalösen Provokationen von dem „repressiven Charakter der Toleranz“ oder von dem dem „Multikulturalismus inhärenten Rassismus“ spricht, oder den „ethnischen Neonazi-Skinhead“ als unmittelbares Erzeugnis multikulturalistischer Toleranz erklärt. Nachdem Freud das Aufklärungsprojekt angriff, indem er uns zu verstehen gab, dass wir nicht Herr im eignen Hause seien, nachdem der „Schlaf der Vernunft“ Ungeheuer gebar, ist es nun, Žižek zufolge, die Vernunft und die Aufgeklärtheit selbst, die Ungeheuer gebiert.

Als Kultur- und Gesellschaftskritiker nimmt Žižek dabei keine eindeutige Position ein, und allein das wirkt schon provozierend. Er bietet keine Antworten oder Lösungen, aber er stellt alles, was wir für einigermaßen gesichert halten, zur Disposition. Und hier überrascht er mit verstörenden Sinneffekten, indem er Altbekanntem die imaginäre Maske herunter reißt und gleichzeitig darauf hinweist, dass sich darunter wiederum nur eine Maske befindet – die Žižeksche Version eines gleichsam umgekehrten Project Moustache .

Die beunruhigende Provokation gelingt Žižek insbesondere am Beispiel harmloser, marginaler, aber gleichwohl allgegenwärtiger Produkte der Konsumgesellschaft; er entlockt Alltagsgegenständen ein geradezu unheimlich subversives Potential, das gerade wegen dieser Unerwartetheit schockierend wirkt. Dies geschieht beispielsweise, wenn er das Kinder-Überraschungsei mit dem Lacanschen Objekt klein a identifiziert.5 Er beschreibt es als hohles Schokoladenei, wobei unser Begehren sich jedoch nicht auf die süße Schokoladenhülle konzentriert, sondern auf das hohle Innere, die zentrale Leere, in der irgendeine kleine Überraschung verborgen ist, die sich, sobald man die Hülle aufgebrochen hat und dieses Objekt des Begehrens zutage fördert, als wertloses, kontingentes (zumeist) Plastikprodukt herausstellt, nicht wesentlich mehr als ein kleines Stückchen Abfall unserer Konsumwelt. Dass jedoch ein harmloses Alltagsobjekt wie das Überraschungsei die gesamte Ökonomie des menschlichen Begehrens repräsentiert, verleiht ihm einen irritierenden und beinahe monströsen Charakter. Wie darf es sein, dass ein dermaßen marginales Objekt etwas aussagt über die allerintimsten Fragen nach den Bedingungen meiner Existenz?

Ähnlich beschreibt Žižek das Tamagotchi,6 ein kleines computergesteuertes, virtuelles Haustier, das Pieplaute von sich gibt, sobald es Bedürfnisse hat, die (virtuell, per Knopfdruck) gestillt werden sollen, und dessen „liebevolle“ Bedürfnisbefriedigung das Spiel dabei ist. Žižek weist darauf hin, dass es sich beim Tamagotchi allerdings nicht um ein kleines, harmloses Fetischobjekt handelt – und dies ist der erste Skandal: denn wie käme man denn auch nur auf die Idee, dass unsere Kinder mit Fetischobjekten spielen? Da dieses kleine Plastik-Display einem Haustier optisch gar nicht ähnle, da es ein vollkommen nicht-imaginärer Mechanismus ist, der permanent Forderungen aufstellt, entspricht es, so erklärt Žižek, vielmehr Gott: zumindest für den Materialisten ergebe sich die Schlussfolgerung, „daß Gott selbst das ultimative Tamagotchi ist“.7 Das ist nicht nur eine skandalöse Darstellung, sie ist auch zutiefst beunruhigend und verstörend. Denn jedenfalls konfrontiert uns diese Deutung des Tamagotchi, das man bislang für eine harmlose Spielerei gehalten hatte, mit dem gesamten Register der Unterwerfung unter ein sadistisches Überich, unter den großen Anderen als Herrn, und mit der Perversion unserer ethischen Prinzipien der Nächstenliebe.

Žižek präsentiert – ähnlich wie die Künstler des Culture Jamming – gewohnte Objekte als monströse Zerrbilder ihrer selbst und kann auf eben diese Weise aufzeigen, inwiefern die harmlosen „Oberflächen“ der imaginären Ordnungen stets eine „Rückseite“ mitführen, auf der irrationale „Grimassen des Realen“8 zum Vorschein kommen.

Culture Jamming setzt an gesellschaftlichen Symbolen an, die herkömmlicherweise so etwas wie Würde und Macht ausstrahlen, die durch die künstlerische Entstellung diese zuvor unangreifbare Machtposition verlieren. Žižek hingegen bedient sich alltagsweltlicher Bagatell-Gegenstände, harmloser Objekte der Alltagskultur, und rückt sie in eine Position, in der sie eine geradezu monströse Bedeutung erlangen.

Diese Analogien der Strategien von Culture Jamming und Žižek erhellen noch einen weiteren Aspekt. Denn auf ihre Weise illustrieren die Aktionen beispielsweise der Yes Men sehr deutlich, was Žižek an der postmodernen Gesellschaft diagnostiziert: das permanente Pendeln zwischen phantasmatischer, spektakulärer Imagination einer liberalen, multikulturellen Gesellschaft auf der einen Seite, und dem Durchbrechen rohester Gewalt des Realen (als misslungener passage à l’acte) auf der anderen, wie sie in den in den Aktionen vorgeschlagenen „Lösungen“ aufs Grellste aufscheinen. Gerade die Strategie der „subversiven Affirmation“, der Überidentifikation beispielsweise verdeutlicht, was Žižek meint, wenn er sagt, die beiden Pole des Imaginären und des Realen stünden heute nicht einander gegenüber, sondern das Reale ginge als etwas dem Imaginären Inhärentes aus diesem als seinem ureigensten Produkt hervor. Der Acceptable Risk Calculator der Yes Men illustriert aufs Deutlichste, wie aus der imaginären Ordnung als logische Fortentwicklung ein irrationaler, wahnwitzig brutaler Exzess hervorgeht. Und ebenso zeigt der Vorschlag, die an Afrika begangenen Gräueltaten durch Einführung der Sklaverei in Afrika wieder gut zu machen, diese ins Groteske gesteigerte Entstellung als eine aus der Logik der Weltwirtschaft geborene Idee.

Ganz ähnlich wie im Culture Jamming bietet auch Žižek keine Lösungen, Antworten oder Gegenmodelle an, sondern überlässt es dem Leser, wie er mit den durch seine Montagen ausgelösten Irritationen umgeht. Wichtiger als Antworten ist Žižek die prinzipielle Möglichkeit des Widersprechens, des radikalen Infragestellens gerade jener Phänomene der Alltagswelt und unserer Kultur, bei denen wir uns im Sicheren wiegen. Auch Žižek ist ein Geist, der stets verneint. Und deswegen wirken auch die Kritiken an Žižek, denen abzulesen ist, dass sie Žižek nur als Provokateur wahrnehmen, deplaziert. Denn diese verkennen die subversive Botschaft Žižeks, derzufolge wir nicht ablassen dürfen von der radikalen Infragestellung noch unserer tiefsten Überzeugungen. Man sollte diese Provokationen ernst nehmen, uns aber dabei nicht nur über Žižeks Zumutungen entrüsten, sondern sie zum Anlass nehmen, die eigene, manchmal vielleicht eben doch zu selbstgefällige Position als liberale Postmoderne zu hinterfragen. Auf die empörte Frage, die Žižeks Provokationen gegenüber häufig geäußert wird: „Darf er das denn tun?!“ kann man – in subversiver Anverwandlung – getrost antworten: „Yes, Žižek can!“

 

Fußnoten

Für die Anregung, mich mit Culture Jamming zu beschäftigen, danke ich Jeannette Neustadt. [zurück]

Beide Zitate: Langhelle, Aage (2004): http://www.aage-langhelle.com/deutsch/projekt_07.html [zurück]

Vgl.: Parker, Ian (2004): Slavoj Ž i ž ek. A Critical Introduction. London, Sterling: Pluto Press. S. 10. [zurück]

Roedig, Andrea (2001): Nacht der Welt. Schöner Exzess. Slavoj Zizeks Grundlagenwerk „Die Tücke des Subjekts“ besinnt sich auf die vergessene Seite der Postmoderne In: Freitag 43: http://www.freitag.de/2001/42/01423501.php [zurück]

Vgl.: Žižek, Slavoj (2003): Faktor X. Das Ding und die Leere. Konzeption, Regie und Produktion: Anne von der Heiden, Thomas Knoefel und Klaus Sander. Audio-CD, 78 Minuten. Berlin: Supposé. [zurück]

Vgl.: Žižek, Slavoj (1999): Liebe Deinen Nächsten? Nein, Danke! Die Sackgasse des Sozialen in der Postmoderne. Berlin: Verlag Volk & Welt. S. 201ff. [zurück]

Žižek (1999) S. 204. [zurück]

So der Titel eines Buches: Žižek, Slavoj (1993): Grimassen des Realen. Jacques Lacan oder die Monstrosität des Aktes. Köln: Kiepenheuer & Witsch. [zurück]


Kontakt: Nina Ort Veröffentlicht am 30.10.2007

   
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