Oliver Jahraus
Wer wählt schon Arnold Schwarzenegger?
Oder die Verwechselbarkeit von Medien und Politik
Abstract: Sowohl diejenigen, die Arnold
Schwarzenegger zum Gouverneur von Kalifornien gemacht haben, als auch
diejenigen, die ihn ablehnen, folgen einem Schema, das durch Arnold Schwarzenegger
in die Politik gebracht wurde, nämlich einem typischen Medienschema
des Helden, der die Probleme beseitigen wird.Arnold Schwarzenegger hat
dieses Schema intensiv ausgenutzt und war in dieser Hinsicht vielleicht
klüger als manche Kritiker, die Medien und Politik verwechselt haben.
Arnold Schwarzenegger hat es geschafft. Er ist Gouverneur
des größten US-amerikanischen Bundesstaates Kalifornien.
Die Vorwürfe, die kurz vor seiner Wahl noch erhoben wurden, haben
es nicht geschafft, seine Wahl zu hintertreiben. Vielleicht war es auch
zu offensichtlich. Ein einfaches Gemüt mag sich schon fragen, warum
diese Vorwürfe nie zeitnah zum inkriminierten Ereignis, sondern
zumeist zeitnah zu einem ganz anderen Ereignis, also zum jeweils aktuellen
Medienereignis, erhoben werden. Und dass man Schwarzenegger und Hitler
in einem Atemzug nannte, nun ja, so ganz unerwartet kam das auch nicht,
gehört doch Hitler auch schon zum Arsenal des politischen Kleinkrieges
unterhalb der Gürtellinie. Auch anderen wurde schon daraus ein
Strick gedreht. Wer jetzt also noch über Österreicher unkt,
die im Ausland politische Karriere machen, ist gemein und politisch
nicht korrekt. Ein anderer Unkenruf lautet fast genauso: Schon wieder
ein Schauspieler, der Gouverneur in Kalifornien wird. Und aus dem wurde
sogar ein Präsident der USA, und was für einer. Einer der
Konservativsten, einer, der am meisten Unmut der linksliberalen Szene
auf sich gezogen hat. Die Szene gibt es noch, den Unmut auch, trotz
allen Wandels, und es gibt Arnold Schwarzenegger.
Daher ist es an der Zeit, Arnie – auch ich nenne ihn schon so
– zu verteidigen. Auch ich hätte ihn gewählt. Warum?
Weil er der bessere Politiker ist. Der bessere Politiker? Woher kann
man denn das wissen, wo er doch noch gar nicht als Politiker aufgetreten
ist? Denn auch im Wahlkampf, den man selbst hierzulande unvergleichlich
besser verfolgenden konnte, als jeden Wahlkampf in einem benachbarten
Bundesland, vom europäischen Ausland gar nicht zu sprechen, ist
Arnie ja keineswegs als Politiker aufgetreten, sondern als Schauspieler,
der er ja ist. Nur bisweilen, aber das gehört zu dieser Rolle,
hat er den Politiker gegeben, oder mehr noch den statesman. Aber den
statesman zu geben – das kennt man aus jedem Wahlkampf und vor
allem aus den amerikanischen Präsidentenwahlkämpfen, ist mehr
als alles andere Schauspiel und Rolle. Wo Politiker unehrlich wirken,
wenn sie schauspielern, ist Arnie zwangsweise der ehrlichere Politiker,
weil er macht, was er kann, weil er tut, was er ist: Schauspieler. Nicht
zuletzt weil er Schauspieler ist, ist er der bessere Politiker.
Aber nach welchem Maßstab wird denn da gemessen? Diese Frage trifft
den Punkt. Wer Arnie als den besseren Politiker bezeichnet – und
auch diese Gemeinde gibt es wie jene andere, die über ihn die Nase
rümpft - , misst nach einem Maßstab, der selbst nicht mehr
der Politik entstammt, sondern einem Bereich, den wir mal etwas vage
den Medienbereich nennen wollen. Arnie ist insofern zweifellos der bessere
Politiker. Und mag das auch etwas seltsam klingen, noch paradoxer wird
es, wenn man daraus zu Recht – folgende – Prognose ableitet:
Bei all dem, was auf Arnie zukommt, wird er nur dann der bessere Politiker
bleiben, wenn es ihm gelingt, kein politischer Politiker, kein Berufspolitiker
zu werden. Wahrscheinlich ist das sogar noch wichtiger als die Aufgaben
zu lösen, die das schwierige Amt, das er errungen hat, mit sich
bringt.
Es steht uns eigentlich nicht an, über Arnie die Nase zu rümpfen,
bevor wir uns nicht die Mühe gemacht haben, wenigsten zu versuchen,
diese Zusammenhänge zu durchschauen. Was immer für Arnie als
den besseren Politiker spricht, ist dem Mediensystem und seinen Normen
und Werten entnommen. Arnie ist jedenfalls besser als all seine Gegner,
nicht, was Kampfkraft und Bodycondition, sondern was Vermittlung, Präsenz,
Performanz (besser fast: performance), schlicht: Telegenität angeht.
Arnie kommt einfach besser rüber. In seinem Gegner, Gray Davis,
begegnet uns ein Typus von korrektem, geschniegeltem Berufspolitiker,
der es nicht geschafft hat, die immensen Finanzprobleme Kaliforniens
in den Griff zu kriegen, was man ihm nicht persönlich vorwerfen
darf. Wie begegnet man diesem Typus von Berufspolitiker? Arnie hat es
in einer seiner Wahlkampfreden vorgemacht. Und wer hätte nicht
auch hierzulande Lust, dem einen oder anderen Berufspolitiker zu sagen:
Hasta la vista, baby!
Dass dies Naserümpfen erzeugt, kann ich gut verstehen. Aber was
wir hier erleben, ist einigermaßen komplex und betrifft auf verblüffende
Weise sowohl Befürworter als auch Gegner von Arnie. Die Entwicklung,
die wir beobachten können, wenn wir unsere Augen nur offen halten,
ist genauso rasant wie schleichend. Man bemerkt die Veränderung,
kann sie aber nicht richtig verbuchen. Und bevor man sie begriffen hat,
hat man sie auch schon akzeptiert. Das politische System, im Grunde
genommen, nach althergebrachtem Verständnis eine Mischung aus Expertensystem
und Elite, wird nach und nach durch das Mediensystem unterwandert. Der
Inhalt verschwindet hinter seiner Vermittlung. Gut, das ist das alte
Lied, das hier nicht wieder gesungen werden soll. Obschon es Arnie noch
einmal so zuckersüß angestimmt hat: Das Vertrauen seiner
Wähler sei ihm wichtig, nicht das Programm. Vertrauen aber ist
eine rezeptionsästhetische Kategorie, denn vertraut wird dem, der
sich am besten inszeniert. Nicht wahr, Herr Kaiser?!
Ich möchte auch nur an bestimmte Entwicklungslinien erinnern. Politik
selbst hat sich ein Stück weit ihres eigenen Potenzials beraubt.
Politikverdrossenheit rührt wohl auch daher, dass die Politik sich
angesichts der Komplexität anstehender Probleme überfordert
hat. Wahlkämpfe drehten sich früher um die Entscheidung zwischen
Freiheit und Sozialismus - überspitzt gesagt. Aber immerhin, das
politische System machte es den Menschen früher, als alles besser
war, auch einfacher, sich zu entscheiden. Heute reduziert sich die politische
Entscheidung auf eine schwierige Abwägung zwischen komplizierten
Programmen. Kaum jemand und selbst die intelligenteren unter den Beobachtern
der Politik hat immer Zeit, Lust und Gelegenheit, sich solche Zusammenhänge
zu vergegenwärtigen, die Probleme umfassend zu studieren, die angebotenen
Lösungen abzuwägen. Und der einfache Mann von der Straße
vermutet sowieso und bisweilen sogar zu Recht, dass die Politik oder
besser: die Politiker den eigentlichen Problemen, was immer das sein
mag, nicht Herr werden. Die Selbstüberlastung der Politik wird
nirgends so manifest als an den Auslagerungen wirklich wichtiger politischer
Fragen aus der Politik – eine Auslagerung in Kommissionen, Hartz,
Rürup, Herzog, usw., usw. oder in die Justiz. Karlsruhe soll alles
entscheiden. Die Politiker, die eben zu diesem Zweck, sozial verbindliche
Entscheidungen zu treffen, gewählt wurden, treffen eben diese Entscheidungen
immer weniger. Und so ist Politik nicht nur langweilig geworden, sondern
sie hat sich selbst ausgehöhlt. Wer sich heute bei Wahlen zwischen
links und rechts entscheidet, entscheidet sich nicht mehr zwischen Freiheit
oder Sozialismus, oder: um auch den anderen Slogan noch einmal zu Wort
kommen zu lassen: zwischen Kapitalismus und sozialer Gerechtigkeit,
sondern er entscheidet sich zwischen einer 30 oder 25prozentigen Finanzierung
der Steuerreform durch Neuverschuldung. Oder so ähnlich.
Nun gehört aber die Selbstüberforderung zum System. Sie resultiert
nicht daraus, dass die Politiker mit den Fragen überfordert sind,
sondern das System selbst ist überfordert. Mit der Reform des Gesundheitssystems,
Steuersystems, Rentensystems und all dem anderen ist – im besten
Sinne des Wortes – kein Staat mehr zu machen. Die Entscheidungen
entziehen sich ihrer Vermittelbarkeit. Angesichts der Komplexität
der Fragen und der daraus resultierenden Selbstüberforderung der
Politik substituiert sie ihre Selbstvermittlung durch ein System von
Vermittlung, das sie aus dem Mediensystem importiert. Und das Mediensystem
ist für Vermittlung zuständig und kümmert sich wenig
um das zu Vermittelnde, Hauptsache, es kommt an. Den Deutschen wurde
es vorgemacht, und nicht zu Unrecht wird der derzeitige Kanzler Medienkanzler
genannt. Kein Kanzler vor ihm hat mit solcher Macht in die Medien gedrängt
wie er. Und alle machen es ihm nach. Kein Wunder also, dass nun die
Medienikonen ihrerseits in die Politik drängen. Wir erleben eine
stille feindliche Übernahme.
Folgerichtig kommt jetzt der Gubernator. Das ist die Fortsetzung vom
Terminator. Arnie wurde wohl nicht zuletzt, so darf man wohl spekulieren,
aus denselben Gründen gewählt, warum nunmehr die andere Gemeinde
die Nase rümpft. Und Arnie versteht sein Geschäft. Alles passt
wunderbar zusammen. Dass die Abwahl des bisherigen Amtsinhabers, recall
genannt, von einem Mann gewonnen wurde, der schon den total recall zustande
gebracht hat, das ist doch zu schön, um wahr zu sein. Der Unmut
entzündet sich an dem Typus, den Schwarzenegger verkörpert:
der stahlharte Mann (bisweilen wortwörtlich stahlhart), der die
Probleme der Welt mit einem einfachen Mechanismus zerstört. Er
zerstört die Verursacher der Probleme, indem er ihnen das Hirn
wegpustet und sie gleich in ganzer Person wegsprengt. Hasta la vista,
baby. Was für die einen ein Horrorszenario ist, ist für die
anderen attraktiv, gefährlich attraktiv. Denn daraus entsteht eine
Führerfigur, die mit einfachen Schemata die Welt in gut und schlecht
einteilt. Das politische Programm schrumpft in seiner Komplexität
auf einen guten Plot für einen Actionfilm zusammen. Die einen fürchten,
die anderen hoffen, dass nunmehr der Terminator in die Politik eingezogen
ist. Aber was hat das mit dem Terminator, Verzeihung, mit Arnie zu tun?
Der Witz ist doch, dass beide Seiten, die ich jetzt natürlich karikiert
habe, denselben Bewertungsmustern folgen, die die Unterwanderung der
Politik durch die Medien schon voraussetzen. Und damit fällt die
Grundlage weg, über Arnie die Nase zu rümpfen. Eine Grundlage
hätte ja nur dann bestanden, wenn man sich auf die Politik hätte
berufen können. Das wäre eine moralische Grundlage gewesen:
ein Politiker muss politisch sein. Aber es ist die Politik bzw. jener
Bereich, dem sich die Politik widmet und zu widmen hat (nennen wir es
öffentliche Wohlfahrt), der es den Politikern nicht mehr erlaubt,
politisch zu sein. Und gerade deswegen, besteht kein Grund, über
Arnie die Nase zu rümpfen. Denn das Problem ist, dass wir jene
Gründe reproduzieren, die uns die Nase vielleicht rümpfen
lässt, indem wir die Nase rümpfen. Will man Arnold Schwarzenegger
als Gouverneur angemessen beurteilen, darf man ihn nicht als Terminator
sehen, darf man eben gerade nicht auf jene Vorgaben zurückgreifen,
die er selbst – zugegeben – uns als Agent und Acteur des
Mediensystems geliefert hat. Gegenüber jenen, die aus Arnie nunmehr
einen politischen Terminator machen, hat Arnie einen Intelligenz-Vorteil.
Denn er durchschaut offenbar sehr geschickt die einzelnen Register des
Mediensystems hier und des politischen Systems dort. Ich will es noch
drastischer sagen: Nach all dem, was wir von Arnies Wahlkampf gesehen
haben, spricht wenig dafür, dass er Politik und Medien verwechselt,
nicht obwohl, sondern gerade weil er sie so geschickt zu kombinieren
versteht. Die Verwechslung von Politik und Medien ist eher ein Problem
seiner Beobachter, seien es Befürworter oder Gegner.
Es spricht wenig dafür, dass Arnie ein politischer Terminator wird.
Die politischen Kommentatoren, die seinen Wahlkampf verfolgt haben,
schätzen ihn eher als gemäßigt ein, wesentlich gemäßigter,
als manche Berufspolitiker. Nun gut, Arnie hat auch Geister geweckt,
die er jetzt nicht mehr los wird. Wenn er jetzt bei den anstehenden
Problemen scheitert, wird man ihm das vielleicht übler nehmen als
manch anderem, denn ein Terminator darf nicht scheitern. Das wird man
sehen.
Fazit: Und wenn Arnie doch Politik und Medien verwechseln sollte, dann
werden wir es nur bemerken und beurteilen können, wenn wir als
Beobachter es selbst nicht tun. Politik muss beobachtet werden und muss
sich der Beobachtung stellen. Aber es liegt nicht nur an den Politikern,
sondern auch an den Beobachtern, ob Politik als Politik oder als Medienspektakel
beobachtet wird. Beide spielen zusammen und setzen sich wechselseitig
voraus, und das über alle politischen Parteien hinweg. Jedenfalls
hat kein Beobachter das moralische Recht, Politik allein deswegen als
Medienspektakel zu beobachten, nur weil es die Politiker vorgeben, denn
vielfach geben es diese so vor, weil die Beobachter Politik als Medienspektakel
beobachten wollen. Die Katze beißt sich mediengerecht in den Schwanz.
Ob man das bedauern soll…? Durchschauen sollte man es!
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