Fremdenfeindlichkeit / Medienwirkung / multikulturelle Gesellschaft


Bernd Scheffer

Medien und Fremdenfeindlichkeit
Alltägliche Gerüchte, andauernde Paradoxien, normale Zynismen



Abstract: Medien sind entscheidend mitverantwortlich für Fremdenfeindlichkeit, da die Unterscheidung zwischen den „guten Eigenen“ und den „bösen Fremden“ ein Grundzug der Medienberichterstattung ist. Der Ansicht, daß Medien durch Aufklärung fremdenfeindliche Gewalt bekämpfen könnten, muß mit Skepsis begegnet werden. Gerade der „Zwang“ zur medialen Beachtung von Gewalttaten kann Gewalttaten erst provozieren. Allenfalls die Beobachtung, daß die Wirtschaft „Fremde“ immer mehr als Zielgruppe entdeckt, könnte Anlaß für einen gewissen Optimismus sein, daß Ausländer in den Medien nicht mehr als das „völlig andere“ dargestellt und denunziert werden.


Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten für die Medien, und notfalls führt man das Ereignis selber herbei. In dem Buch „Kriegstrommeln“ von Mira Beham finden sich Hinweise wie der folgende: Ein Reporter des New York Journal sollte 1898 über Aufstände gegen die spanische Herrschaft in Kuba berichten. Aber es gab aus Kuba nichts zu berichten, und der Mann wollte wieder abreisen. Doch der Medienzar Randolph Hearst telegraphierte ihm: „Bleiben Sie! Sorgen Sie für die Bilder, ich sorge für den Krieg!“ Hearts hielt Wort: Mit seiner Pressemacht bewirkte er die Einmischung der USA in Kuba und einen Krieg mit Spanien - und eine Steigerung seiner Auflagen. So bringt die liberale Mediengesellschaft fortlaufend Effekte hervor, die genau gegen ihre eigene Liberalität gerichtet sind.

Die Berichterstattung über die harte Abschiebung bosnischer Kriegsflüchtlinge, sogar die Darstellung der Proteste dagegen trägt dazu bei, daß die Zahl der „freiwilligen“ Rückkehrer spürbar steigt. „Deutsche und Ausländer: gefährlich fremd. Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft“, titelt der Spiegel am 14. April 1997. Skepsis steigert sich hier zur Gewißheit. Solche mächtigen Gerüchte verwirklichen sich fast immer im Zuge ihrer medialen Verbreitung. Sie zerstören bislang berechtigte Hoffnungen, steigern Abgrenzungs- und Gewalttendenzen bei den „Eigenen“ und den „Fremden“; denn „Fremdenfeindlichkeit gibt es auf beiden Seiten. Je fremdenfeindlicher sich die eine Gruppierung gibt, desto stärker wird auch der aggressive Abgrenzungsbedarf bei den Ausgegrenzten. Deren militante Gegenwehr gibt wieder den ursprünglichen Angreifern recht.

Es geht hier nicht um das übliche kulturkonservative Wehklagen über die Macht der Medien. Es geht nur darum, daß die Medien ganz entscheidend mitverantwortlich sind für die Erzeugung und Verfestigung ethnisch-kultureller Konflikte.Trotz des richtigen Hinweises, daß die Medien gesellschaftliche Konflikte allenfalls verstärken, keinesfalls aber verursachen, wird die Rolle der Medien genau deshalb brisant, weil ihnen im komplexen Zusammenspiel der kommunikativen und medialen Vernetzung dann doch wieder die zentrale Rolle und die auch die zentrale Verantwortung zukommt. Aufgrund der zwangsläufig ereignisbezogenen Berichterstattung (vorzugsweise des Fernsehens) kommen Fremde als Verursacher von Problemen ins Bild (Kosten, Wohnungsnot, Arbeitsplatzkonkurrenz, „Überfremdung“, Kriminalität). Selbst noch in der fürsorglichen Betreuung, die ihnen gilt, erscheinen die Fremden doch in erster Linie als Menschen, die dauernd Sorgen machen. Nachrichtenmagazine und ehrenwerte überregionale Tageszeitungen zeigen Karikaturen in drastischer Form: Boote, die offensichtlich überfüllt sind; oder die Darstellung eines Vulkans, der Flüchtlinge ausspuckt; oder es werden Flüchtlinge als geballte Munition im Lauf einer Pistole dargestellt, mit der auf uns geschossen wird. Auch die liberale Presse spricht vom deutschen „Haus“ , in dem „Sprengsätze“ deponiert sind, von drohenden „Giften“, die den eigenen „Körper“ bedrohen, vom „Chaos“ in den „Oasen der Ordnung“: Kriegsberichterstattung.

Das „Fremde“ muß geradezu fiktional, irreal, imaginär, phantasiert, halluziniert, simuliert oder virtuell sein. Genau genommen sind eigene und fremde Ethnizität, Nation oder Kultur diffuse und wandelbare Größen: Es wird nicht gelingen, die Fremden darüber zu definieren. Doch das herauszustellen, würde das Fremde bekannt machen; es hörte auf, fremd und fern zu sein. So bleibt die Unterscheidung zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“, verknüpft mit der Differenz gut und böse, ein Grundzug der Medien, angefangen bei den Kinder- und Jugendmedien. Die Bösen sind unverkennbar different in Sprache, Aussehen, Kleidung und Verhaltensweisen, und der Sieg über sie kann nur gewaltsam errungen werden; mit Reden ist gegen die Bösen nichts zu machen. „Fremdheit“ ist keine Eigenschaft von Dingen, geschweige denn ein Merkmal von Personen. „Fremdheit“ ist vielmehr ein Beziehungsmodus, ein Ergebnis komplexer Kommunikation. Wenn Unterschiede diffus werden, wenn die „Anderen“ uns zum Verwechseln ähnlich werden, beobachten wir gewaltige und gewalttätige Anstrengungen, alte und neue Unterschiede zu (re-) konstruieren. Die interne Bestimmung des „Eigenen“ muß geradezu leer bleiben: Die Abgrenzung Bayerns gegen den Rest der Welt ist die pure Tautologie: „Mir san mir!“

Das Fremden-„Problem“ hat nicht gänzlich, aber doch weitreichend die Struktur eines Politik- und Medien-Gerüchts - mit allen, gerade auch aus der jüngsten Geschichte bekannten Implikationen einer fremden „Verschwörung“ gegen „uns“. „Fairerweise“ könnte man denjenigen, die auf den Wellen der „Asylantenflut“ in die Gewalttätigkeit abgedriftet sind, nur vorwerfen, daß sie sich in der Wahl der Mittel schrecklich vergriffen hätten, aber kaum, sie hätten auch die Ziele der herrschenden Politik schrecklich falsch verstanden: nämlich die Zahl der Einwanderungen „mit allen Mitteln zu stoppen“. Niemand hebt hervor, daß die Anerkennungsquote für Asylsuchende bei maximal zwei Prozent liegt. Niemand weist darauf hin, daß etwa die Wahrscheinlichkeit, daß ein Deutscher Kinder schändet, dreimal so hoch ist wie bei einem Ausländer. Niemand erzählt davon, daß (trotz anderer Befürchtungen, etwa seit Betty Mahmoodys Buch „Nicht ohne meine Tochter“) die Scheidungsrate bei bikulturellen Ehen deutlich niedriger ist als in monokulturellen Ehen. Und wer erinnert sich noch daran, daß die Fremden überproportinal helfen, die Altersversorgerung deutscher Rentner zu sichern?

Gewalt ist ein höchst interessantes journalistisches Thema, das billig zu erwerben und teuer zu verkaufen ist. Die Medien sind verpflichtet, über Gewalt zu berichten; wenn sie dies aber tun, machen sie sich mitschuldig an weiteren fremdenfeindlichen Straftaten. In den Tagen nach den Anschlägen von Hoyerswerda, Rostock und Solingen stieg nicht trotz, sondern gerade wegen aller medienunterstützten Empörung die Zahl weiterer fremdenfeindlicher Straftaten stark an. Allein die Medienpräsenz kann das Ereignis provozieren, über das die Medien dann berichten: Wer „Heil Hitler!“ schreit, wird medial beachtet, das weiß auch noch der dümmste Hooligan.

Kurz: Die Medien erhöhen die Wahrscheinlichkeit, daß einer das Gewehr aus dem Schrank holt und als Schießscheiben jene Bilder nimmt, von denen er umzingelt ist - die entstellten Bilder des Fremden. Die Schwierigkeit besteht darin, daß die Medien zugleich die einzigen sind, die den Schaden mindern können. Es gibt kein Jenseits der Medien mehr. Erfahrung ist von Medienerfahrung nicht mehr zu trennen. Ebensowenig wie die fremdenfeindlichen Darstellungen liegen deren Korrekturen gänzlich außerhalb jener Simulationen, die das Fremde immer schon betroffen haben.

Sollen wir also, um Fremdenfeindlichkeit einzudämmen, den Medien geradezu eine forcierte Berichterstattung empfehlen, die den starken Anschein erweckt, als griffen die Behörden gegen Fremde rigoros durch? Könnten damit nicht viele „Do-it-yourself“-Gewaltakte verhindert und die anwesenden Fremden besser geschützt werden? Der seinerzeit von den Medien immer wieder beachtete Streit des Münchener Oberbürgermeisters Christian Ude mit seinem in Asylfragen nicht eben großherzigen Kreisverwaltungsreferenten hätte genau diese zynisch-paradoxe, aber wohl auch wirkungsvolle Schutzfunktion für die bereits aufgenommenen Fremden und ließe München und Bayern insgesamt fremdenfreundlicher dastehen als andere Städte und Bundesländer? Sind Innenminister und Polizisten direkt oder indirekt für diese Medien-Rolle vorgesehen? Wird sie gespielt, wenn erwogen wird, drei- und vierjährige Kinder ohne ihre Angehörigen in Abschiebehaft zu nehmen? Sind die italienischen Behörden jetzt - gerade auch Dank der Hilfe der Medien - am Ziel? Nachdem bei einem Zusammenstoß mit einem Marineschiff mehr als achtzig albanische Flüchtlinge (überwiegend Frauen und Kinder) zu Tode kamen, gehen weitere Flüchtlinge das Wagnis nicht mehr ein - und der Sicherheitsabstand für die gerade dadurch mögliche, gesteigerte ferne Hilfsbereitschaft wäre immerhin gewachsen?

Zunächst können es die Medien, was immer sie tun, nur noch falsch machen: War es nützlich, daß in der Medien-Geschichte der Bundesrepublik der Faschismus, der Rassismus und der Antisemitismus bei weitem nicht die Medienbeachtung fanden, die doch ihrer Bedeutung entsprochen hätte? Hätte man die „Vergangensheitsbewältigung“ sogar noch stärker unterlassen und ganz bewußt herunterspielen sollen? Immerhin hat ja jede Kriegsschuld-Debatte, jeder Historikerstreit bei aller Empörung die verachtete Position nur umso stärker in die Salons, in die Talkshows und auch in die Akademien geholt. Und spätestens seit der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ muß man sich wohl eingestehen, daß beide Seiten ihre Positionen aktualisieren, daß beide Seiten verstärkten Zulauf erhalten. Man stärkt wohl auch immer die andere Seite.

Hilft Verschweigen? Sollen bestimmte Berichte über Gewalttaten unterdrückt werden, wenn sich nachweisen läßt, daß ihre mediale Darstellung mehr schade als daß sie nütze? Man kann weder ganz für „Political Correctness“ sein noch ganz gegen sie. Der Ratschlag, die Herkunft von Straftätern nach Möglichkeit überhaupt nicht zu nennen, macht einigen Sinn: Man wird hierzulande kaum lesen „Der jüdische Tatverdächtige“, geschweige denn „Der oberbayerische“ bzw. „niedersächsische Straftäter“; das eine gilt (nicht unbegründet) als „political incorrect“, das andere erscheint uns sinnlos. Aber die Zurechnung von Vergehen auf Menschen türkischer Herkunft ist offenbar „normal“.

Kann man Fremdenfeindlichkeit bekämpfen, indem man die Medien gleichsam mit ihren eigenen Mitteln schlägt? Weil es zu einer geradezu irrsinnigen und medial-gigantischen Verallgemeinerung des Peripheren, des Zufälligen, des Anekdotischen oder gar Läppischen kommt oder sogar kommen muß, verzeichnen wir regelmäßige Ausnahmen, normale Schieflagen wie etwa die folgende: In weiten Schichten Großbritanniens hat sich das Deutschlandbild zunächst drastisch verbessert in einer Art und Weise, von der etwa britische Deutschlehrer und vierzigjährige Austauschprogramme nicht einmal zu träumen wagten: Durch die kurze und höchst torreiche und medienwirksame Anwesenheit des Fußballers Jürgen Klinsmann bei Tottenham Hotspurs. Alle Maßnahmen deutsch-britischer Freundschaft scheinen dagegen zu verblassen. Danach lief alles wieder in die Gegenrichtung. Die Außenminister der beiden Länder hätten den Wechsel von Tottenham Hotspurs zu Bayern München doch allen Ernstes verhindern sollen.

Eine multikulturelle Gesellschaft wäre lebbar, aber nicht mit kühnen Hoffnungen auf Homogenität, sondern allenfalls mit der Hoffnung auf zivilisierbare Konflikte. Wie aber springt man aus solchen Teufelszirkeln und Totschlägerreih(ung)en heraus? Können wir erwarten, daß die Medien gleichsam gegen ihre eigene Expansionskräfte handeln? Wir haben Zweifel, daß das Thema überhaupt noch mit der üblichen optimistischen Erwartung behandelt werden kann, schulische Lernprogramme, gründliche Aufklärung aller Beteiligten, folgenreiche Medienkritik und wissenschaftliche Rationalität hätten, richtig angewandt, (wieder einmal) eine angeblich beträchtliche Chance, Verbesserungen herbeizuführen. Das immerhin zeichnet sich ab: Wo Wohlstand herrscht, wo Arbeit verfügbar ist als „effektivster und eingefahrenster Vorgang der psychomotorischen Gewaltabfuhr in der Gesellschaft“ (Theweleit), passiert nie sehr viel: Es gibt eine letzte Kontinuität zu früheren Zeiten: Es trifft eigentlich immer die „Anderen“, die „Fremden“, die „Ärmeren“, die Unterprivilegierten, die Arbeitslosen (als Täter und vor allem als Opfer). Das Gewinnstreben der Wirtschaft und der Medien-Wirtschaft könnte in verstärktem Maße die Fremden als „Zielgruppe“ entdecken, weil alle übrigen Abnehmer längst vielfach erfaßt und versorgt (um nicht zu sagen „bedient“) sind. Dann aber könnten sich Werbewirtschaft und Medienanbieter den Luxus der derzeit verbreiteten Abgrenzungsformen finanziell nicht länger leisten. So entdecken am Schluß die lädierten Humanisten (neben anderen Mitteln) die Überzeugungskraft des Geldes. Wir sind auf Schwierigkeiten gefaßt.



Die erheblich erweiterte Fassung dieses Textes ist als Vorwort und Einführung veröffentlicht in dem Band: Bernd Scheffer (Hrsg.) (1997): Medien und Fremdenfeindlichkeit. Alltägliche Paradoxien, Dilemmata, Absurditäten und Zynismen. Opladen, Leske+Budrich, 293 Seiten. Kartoniert. DM 36,-
ISBN 3-8100-1917-8

   


 
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