Daniel Krause

Von Räumen schreiben: Peter Ruderichs Vierzehnheiligen. Eine Baumonographie.

Abstract: Reminiszenzen ans Barock sind keine Seltenheit in der Gegenwartsarchitektur. Der klassizierende Purismus des Internationalen Stils ist längst Vergangenheit. Kompetente (und lesbare) Darstellungen übers Barock sind aber die Ausnahme. Eines der wenigen Beispiele eingängig-erhellenden Schreibens über barocke Architektur ist Peter Ruderichs Monographie zu Vierzehnheiligen, dem späten Haupt- und Gipfelwerk dieser Epoche. Traurig, dass dieses Monument zeitgenössischer Architekturpublizistik noch sechs Jahre nach seiner Veröffentlichung kaum zur Kenntnis genommen wird.

Vierzehnheiligen. Eine Baumonographie.

Von einer ‚neobarocken’ Ära zeitgenössischer Architektur zu sprechen – das wäre übertrieben. Aber neobarocke Tendenzen gibt es allerorten, mehr noch als vor 20 Jahren: Da ist die barocke Variante des Dekonstruktivismus: Gehry; das verstärkte Interesse am ‚Gesamtkunstwerk’, an Theatralität und Medienverschränkungen: Nouvel; der fortdauernde internationale Erfolg österreichischer Architekten – sie wurzeln von je in den barocken Traditionen ihrer Heimat: Holzbauer, Hollein; nicht zuletzt sind moderne Meisterarchitekten wie I. M. Pei zu nennen, die barocke Elemente in den Internationalen Stil integrieren. Pei, Schöpfer von National Gallery (Washington) und Deutschem Historischem Museum (Berlin), verleiht bei jeder Gelegenheit seiner Bewunderung für Balthasar Neumann, besonders für Vierzehnheiligen, Ausdruck. Pei stellt Neumann selbst über Schinkel, den Übervater der Moderne. So nimmt es nicht Wunder, dass Peter Ruderich die Wallfahrtskirche am Obermain zum Gegenstand einer umfassenden wissenschaftlichen Analyse gemacht hat. Befremdlich scheint vielmehr, dass dies die erste Vierzehnheiligen-Monographie seit den 50er Jahren ist. Solche Leser, die Deleuzes Barock-Buch Die Falte zum Maßstab machen (samt seiner Geistesblitze im Dunkel der Verwirrung), werden Ruderichs Duktus ein wenig hölzern finden. Aber verständlich ist Ruderich immer, auch für den interessierten Laien. Fachsprachliche Fügungen können mit Hilfe von Wörterbuch und Suchmaschine aufgelöst werden – sofern sie nicht vom Autor selbst erläutert werden.

Vierzehnheiligen ist eines der seltenen Beispiele wissenschaftlicher Prosa, die Klarheit als höchste akademische Tugend etablieren. Die angeblich unüberwindliche Kluft zwischen Wissenschaft und Publikum wird mühelos überbrückt. Wer konnte je Zweifel hegen an Ernsthaftigkeit und „Gesellschaftsrelevanz“ kulturwissenschaftlicher Forschung, angesichts solcher Publikationen? Kein Zweifel: Nicht alle Kapitel sind für den Laien gleichermaßen von Belang. Die detaillierten Untersuchungen zur Lokalgeschichte, zu Intrigen, Politika und Finanzen – das muss nur Spezialisten interessieren. Von höchstem Interesse sind aber jene Abschnitte, die sich der Formanalyse verschreiben und übergreifenden architekturgeschichtlichen Perspektiven. Das fränkisch-böhmische Barock (auch „radikales“ oder „dynamisches Barock“ geheißen) kann als Höhepunkt frühneuzeitlicher Architekturgeschichte gelten: Die Verschmelzung von Lang- und Zentralbau, Rotunde und Basilika, ist das zentrale Anliegen barocker Sakralarchitektur. In der Renaissance-Architektur ist es schon angelegt, selbst in der späten Antike. Wie dieses Kernproblem barocker Architektur innerhalb weniger Jahrzehnte, zunächst in böhmischen Landkirchen, dann in den Hauptwerken der Dientzenhofer und Balthasar Neumanns in Franken, hin und her gewendet und schließlich genialen Raumlösungen zugeführt wird – das liest sich spannend wie ein Krimi.

Diese so wesentliche Episode der Kulturgeschichte ist nirgends luzider und fesselnder dargestellt worden als im achten Kapitel von Vierzehnheiligen. Ruderich scheut zwar das Pathos. Aber uns sei der Hinweis gestattet, dass mit Neumanns unvollendeten sakralen Hauptwerken ‚etwas zu Ende geht’, und nicht allein das Barock – Vierzehnheiligen und Neresheim sind die letzten Beispiele originärer christlicher Sakralarchitektur. Das mag übertrieben erscheinen, aber bedenken wir: Als Neresheim vollendet wird – in den 1790er Jahren, 40 Jahre nach Neumanns Tod –, beherrscht der Klassizismus die architektonische Szene. Er findet kein rechtes Verhältnis zum (christlich) Sakralen. Allerlei ‚Tempel’ werden errichtet, Kirchen nur selten. Dann folgt der Historismus. Jetzt werden viele Kirchen gebaut – allein: Es sind Stilkopien. Die Moderne schließlich findet nur in Einzelwerken zum Sakralen: Le Corbusiers Ronchamp und La Tourette sind zu nennen, in unseren Tagen Bauten Gottfried Böhms und Tadao Andos. Einen Stil der Sakralarchitektur hat die Moderne nicht hervorgebracht. In diesem Sinne also beschließen die letzten großen Barockkirchen die christliche Architekturgeschichte in ihrer Gesamtheit, als deren ‚Vermächtnis’. Dass sie zugleich ihr formales Urproblem lösen, den ‚Widerstreit’ von Lang- und Zentralbau, ist eine glückliche Fügung der Geistesgeschichte, ein wahrer kairos.

Peter Ruderichs Vierzehnheiligen darf zugleich als Huldigung an den architektonischen Genius Balthasar Neumanns begriffen werden. Der 50-Mark-Schein hielt die Erinnerung wach, doch ‚berühmt’ wie Schinkel und Mies ist Neumann niemals geworden. Das ist nicht allein der Nachwelt anzulasten: Neumann begreift sich als Handwerker, Soli Deo Gloria. Geniekult ist ihm gänzlich fremd. Er tritt zurück hinter das Werk, auch hinter den Dienstherrn. In Wahrheit ist er der Größten einer, als Vollender des Barock und der christlichen Architektur. Peter Ruderichs Verdienst ist es, dass Balthasar Neumann späte Gerechtigkeit widerfährt.

Hinweis

Die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt zu Vierzehnheiligen. Eine Baumonographie. ist 2000 bei der Verlagsbuchhandlung Collibri in Bamberg erschienen, in kundiger und liebevoller Gestaltung. Trotzdem ist zu bedauern, dass keiner der großen Verlage bereit war, sich dieses Werks anzunehmen.


Kontakt: Daniel.Krause1@gmx.de Veröffentlicht am 11.04.2007

   
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